Parapsychologie und Magie

Esoterik, Grenzgebiete.

Die wissenschaftliche Erforschung von Außersinnlicher Wahrnehmung (ASW) und Psychokinese (PK) ist das Kerngebiet der Parapsychologie. Diese Wissenschaft ist ungefähr zwischen Physik und Psychologie angesiedelt, und idealerweise sollte ein Parapsychologe eine fundierte Ausbildung in beiden Fächern haben. Die ASW – d.h. Hellsicht, Telepathie, Präkognition u.a. – wird heute auch außerhalb der Parapsychologie in wissenschaftlichen Kreisen weitgehend als existent anerkannt. In der Allgemeinbevölkerung gilt sie seit jeher als Teil des Lebens, wenn auch selten auftretend, mit einer Art Joker-Funktion. Problematischer ist die Psychokinese. Hier ringen einerseits Parapsychologen um Beweise ihrer Existenz, andererseits schlägt ihnen aus der Wissenschaftlergemeinde recht großer Unglauben entgegen. In Bezug auf die PK wird im Gegensatz zur ASW noch an vorderster Front gekämpft. Es ist dies ein Grenzforschungsgebiet ähnlich wie die Astrophysik und die Mikrophysik, wo die Gesetze der Klassischen Physik nur noch eingeschränkt gelten. Wir haben es bei der ASW und besonders bei der PK mit einer anderen Grenze der Physik zu tun, nämlich der zum Bewusstsein. Es wird damit gleichzeitig impliziert, dass es so etwas wie ein »Bewusstsein« auch gibt. Von Hirnforschern und behavioristischen Psychologen wird die Existenz eines Bewusstseins im Sinne einer Schaltzentrale jedenfalls abgelehnt.

Wir können der größeren Unverfänglichkeit halber auch lieber vom »Subjekt« sprechen. Mit der Heisenbergschen Unschärferelation hat die Physik anerkannt, dass auf der Mikro-Ebene eine objektive Beschreibung aller Zustände und Prozesse nicht möglich ist, weil das beobachtende Subjekt die Objekte verändert. Ein analoger Vorgang ist auch in der Parapsychologie bekannt. Die objektive Beobachtung unter Laborbedingungen ist ein nie erreichter Idealfall, ja, wahrscheinlich prinzipiell nicht erreichbar, da sich auch im Grenzbereich von Geist und Materie immer wieder herausstellt, dass Versuchspersonen und Versuchsanordnung eher eine vernetzte Einheit bilden als eine Zweiheit von Subjekt und Objekt.

Psychokinese, also die Beeinflussung von Materie durch den Geist ist inzwischen einwandfrei nachgewiesen. Einschränkend muss aber gesagt werden, dass ihr unter Laborbedingungen nachweisbarer Effekt sehr gering ist. Er ist ein Randphänomen. Dazu einer der führenden deutschen Parapsychologen Walter von Lucadou:1

Bei der Diskussion, ob Psychokinese der Physik widerspricht, haben wir es ebenfalls mit der Frage nach der Grenze von Theorien zu tun. Es wäre sicher unsinnig anzunehmen, dass die PSI-Phänomene die heutige Physik widerlegen könnten. Dazu sind die Ergebnisse der Physik viel zu gut experimentell und theoretisch abgesichert und die der Parapsychologie viel zu inkonsistent vage. Die Physik wird nach wie vor ihre Gültigkeit behalten, was immer die Parapsychologie herausfinden wird. Man könnte sich allerdings vorstellen, dass gewisse Modifikationen in solchen Bereichen der Physik eingeführt werden müssen, wo sie bisher keine Aussagen macht.

Ist es wichtig für einen Erforscher der Magie, sich mit den Erkenntnissen der Parapsychologie zu befassen? Konventionelle Magie-Darstellungen sind historisch, phänomenologisch, psychologisch oder soziologisch, in einem naturwissenschaftlichen Sinne wird Magie nicht ernstgenommen. Magie ist von der Definition her ebenso wie die Psychokinese eine Fähigkeit, die Grenzen zwischen Geist und Materie an ganz unüblichen Stellen zu überschreiten. Wenn wir die »Hohe Magie« der Esoteriker und Okkultisten betrachten – von diesen so genannt, um sich von der »niederen« volkstümlichen Magie abzusetzen –, so haben wir es weiterhin mit Wirkungen zwischen Geist und Materie zu tun. Die Richtung ist allerdings umgekehrt. Gegenstände, Riten und Symbole werden benutzt, um den Geist zu höherer Erkenntnis zu erheben. Eine Analogie von Außen und Innen wird dabei vorausgesetzt und natürlich ein Weltbild, in dem Geist und Materie zwei Seiten einer ursprünglichen, göttlichen Realität sind.

Das Ziel der Hohen Magie ist die Wiederzusammenführung der beiden getrennten Seiten und die Fülle des Einen. Okkultisten und Esoteriker schauen in der Regel sowohl auf die niedere Magie als auch auf die Parapsychologie herab. Der volkstümlichen Magie, der dasselbe Weltbild wie der Hohen Magie zugrunde liegt, werfen sie Verirrung im Irdischen vor. Von der Parapsychologie meinen sie, dass ihr das materialistische Weltbild der Physik zugrunde liege und dass sie deshalb nichts zur wahren Erkenntnis oder gar geistigen Höherentwicklung beitragen könne. Typisch für diese Position äußert sich der Esoteriker Jörg Wichmann:2

Es zeichnen sich nach jahrzehntelangen parapsychologischen Forschungen von Hunderten von Wissenschaftlern in der ganzen Welt meines Wissens keine Erklärungsansätze für diese [Para-]Phänomene ab. Und ich würde solche auch nicht erwarten. Mögen die Versuche der Parapsychologen auch noch so ausgeklügelt sein, die statistischen Methoden immer weiter verfeinert werden und die Messgeräte immer genauer: Es wird in der falschen Richtung gesucht. Die Parapsychologie orientiert sich an einem grundsätzlich unangemessenen Erklärungstyp […] »… und was sie [die Natur] deinem Geist nicht offenbaren mag, das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben« (Goethe).

Auch in Bezug auf die Parapsychologie muss also festgestellt werden, dass sie sich nicht mit der Esoterik überschneidet. Aufgrund ihres Vorgehens ist sie einer grundsätzlich anderen Zugangsweise zur Wirklichkeit zuzuordnen. Das Verdienst der Parapsychologie liegt darin, dass sie die als »paranormal« bezeichneten Phänomene mit wissenschaftlich sauberen Methoden nachgewiesen hat. Damit aber ist ihre Mission erfüllt. Eine wissenschaftliche Theorie darüber wird sie nicht aufstellen können, jedenfalls nicht unter den Bedingungen der heute bekannten Wissenschaft. Das Problem liegt nämlich nicht erst dort, wo es sich um Ausnahmeerscheinungen im Grenzgebiet zwischen Bewusstsein und Materie dreht. Vielmehr ist die Grenzlinie zwischen Bewusstsein und Materie überhaupt ein Problem.

Ich halte das für eine zu starke Polarisierung. Man muss doch der Parapsychologie –und vielleicht auch der modernen Mikrophysik – zugute halten, dass diese Vorstöße zur Aufweichung unseres materialistischen Weltbildes unternimmt. Aus Esoteriker-Sicht kann es doch nur wünschenswert sein, wenn eines Tages von Seiten der Naturwissenschaft ein Durchbruch zum Geistigen erzielt würde. Sollte es jemals zu einem ganzheitlichen wissenschaftlichen Weltbild kommen, so dürfen wir von der Parapsychologie einen entscheidenden Beitrag in diese Richtung erwarten. Der Wissenschaftler, der sich solchen Perspektiven gegenüber offen hält und mit der Faktizität der Magie rechnet, kann sich daher weder auf die abgehobene Position eines Anhängers der Hohen Magie begeben noch im Stile einer vorgestrigen Haltung die Ergebnisse der Parapsychologie ignorieren. Sie bilden einen wichtigen Baustein zum verstehen der Magie, ebenso wie einige Erkenntnisse der Tiefenpsychologie.

Grundsätzlich gilt: Hohe Magie ist ein Glaubens- und Erfahrungsweg, sogenannte »niedere« Magie eine Alltagspraxis, Parapsychologie ein weitestmögliches rational-analytisches Verstehen des ganzen Magie-Komplexes. Es liegt in der Natur des analytischen Forschens, dass sich dieses in erster Linie mit den offensichtlicheren Phänomenen der volkstümlichen »niederen« Magie befasst und weniger mit der verborgenen Glaubensweisheit der Hohen Magie. Um ein vollumfängliches Verständnis der Magie zu erreichen, müssen insbesondere Parapsychologie, Psychologie, Psychiatrie und Medizin herangezogen werden. Aus diesen Wissenschaften müssen alle bisher gewonnenen Erkenntnisse zu folgenden Phänomenen ausgewertet werden:

  • Erscheinungen, Phantome
  • Materialisation, Dematerialisation
  • Psychokinese
  • Außersinnliche Wahrnehmung
  • Hellsicht, Präkognition
  • Spontan- und Wunderheilung, Placebo-Effekt
  • Totenerweckung, Scheintod, klinischer Tod
  • Seelenreisen
  • Mediumismus, Besessenheit
  • Multiple Persönlichkeit

Die ernsthafte Forschung in dieser Richtung könnte zu einer erheblichen Modifikation unseres Bildes von der Wirklichkeit führen. Darauf sollte der Forscher gefasst sein. Wie die Aufstellung der Phänomene ahnen lässt, können die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt, Ich und Du, Geist und Materie, Innenwelt und Außenwelt, materieller Welt und eventuell existierender feinstofflicher Welt ins Schwimmen geraten. Unser Weltbild müsste möglicherweise so sehr erweitert werden, dass es diese Antagonismen aufhebt. Das heißt freilich – wie schon der oben zitierte Walter von Lucadou meinte –, dass für den Alltag und 99 Prozent aller Fälle weiterhin das gängige Weltbild gilt und anwendbar ist. Wir beziehen uns in punkto Magie eher auf Ausnahmen, die dann allerdings nicht mehr als Spinnerei oder Betrug abgetan, sondern als Grenzüberschreitungen betrachtet würden. Eher hätte eine solche Weltbild­erweiterung Implikationen für den Glauben und das spirituelle Leben, kaum jedoch auf den Lebensalltag, der sich nach irdischen, pragmatischen Grundsätzen richtet. Eine Parallele wären die Relativitätstheorie und die Quantenphysik, deren Gültigkeit nur in extremen Bereichen spürbar ist. In der 99%igen Normalwelt sind weiterhin alle Gesetze der Klassischen Physik anwendbar.

Am Ende stünden vielleicht ein die Magie einschließendes Weltbild und eine Wissenschaft, die Grenzphänomene nicht nur ernst nimmt, sondern so gut erforscht hat, dass sich daraus eine wohltuende Praxis für die Menschen ableiten ließe. Ich könnte mir vorstellen, dass dies ein Schritt zu einer Aussöhnung mit nicht-westlichen Kulturen bedeuten würde. Bisher wurde magisches Denken und Handeln überall im Einflussgebiet der christlichen Religion und der westlichen Wissenschaft gnadenlos und möglichst bis zur Ausrottung bekämpft. Letzteres ist allerdings nicht gelungen. In Afrika und Neuguinea grassiert weiterhin tagtägliche Angst vor Hexerei, trotz Christentum, Islam oder Wissenschaft. Verschiedene magische Praktiken führen zur Ausrottung von Tierarten, z.B. die Jagd auf Nashörner zur Gewinnung von Aphrodisiaka in Fernost oder die Jagd auf Geier in Südafrika zur Gewinnung von Hellsichtpulver.  Mit einer die Magie wirklich verstehenden Wissenschaft bräuchte kein aussichtsloser Kampf mehr gegen vermeintlichen Aberglauben geführt werden. Vielmehr zeichnete sich die Perspektive ab, noch vorhandene Schwarze Magie – d.h. menschen- und umweltfeindliche – mit Weißer Magie zu eliminieren.


  1. Walter von Lucadou: “Psi-Phänomene. Neue Ergebnisse der Psychokinese-Forschung”, 1997, S.84f. []
  2. Jörg Wichmann: “Die Renaissance der Esoterik. Eine kritische Orientierung”, 21991, S.23 []
Esoterik, Grenzgebiete.