Zur Kontroverse mit dem Islam

Geschichte, Gesellschaft, Religion, Weltkultur.

Sowohl im internationalen als auch im sozialen Zusammenhang geht es im Kern nicht um einen Konflikt zwischen zwei Weltreligionen, sondern um den Gegensatz Abendland-Orient.

Es bringt deshalb die Sache nicht voran, wenn die islamische Welt dem sogenannten christlichen Abendland gegenübergestellt wird. Dadurch wird ein tieferes Verständnis erschwert und eine dauerhafte Lösung unmöglich gemacht.

Es sollen keine Äpfel mit Birnen verglichen werden. Das Abendland ist heute nur zum Teil christlich – maximal 50% – und war es auch im geschichtlichen Schnitt nie zur Gänze. Unsere großen kulturellen Identitätsstifter sind in etwa gleicher Stärke das philosophische, wissenschaftliche und nicht-religiöse Denken, das von den Griechen ausging, und die christliche Religiosität. Dass etwa die Hälfte der Europäer sich heute als Anhänger eines naturwissenschaftlichen und atheistischen Weltbildes betrachtet, ist daher kein Schwachwerden des „Christlichen“, es war vielmehr schon immer Teil des abendländischen Selbstbildes. Wir sind eben beides, Atheisten und Christen, und der Konflikt zwischen diesen beiden gehört zur europäischen Identität. Wir sollten uns also nicht von Muslimen vorhalten lassen, dass wir uns im Gegensatz zu ihnen nicht an unsere religiösen Lehren hielten, wir also dekadent seien. Das philosophische, atheistische und freiheitliche Denken und Leben ist ur-europäisch und in zweieinhalb Jahrtausenden von uns immer wieder neu errungen worden.

Selbst wenn wir die Völker der Welt aus rein religionspolitischer Sicht betrachten, ist es typisch und offenbar schicksalhaft, dass die Europäer mit dem Christentum die ethisch undogmatischste aller großen Religionen angenommen haben. Es lassen sich so gut wie keine unwidersprochenen Vorschriften für Gesellschaft und Alltagsleben aus dem Neuen Testament entnehmen. Wir Europäer sind daher in den Augen insbesondere der Muslime freizügig, dekadent, sittenlos usw. Nicht nur als Atheist, sondern auch als Christ kann man z.B. monogam, polygam oder zölibatär, hetero, homo oder bi sein, dies alles berührt das Christliche in seinem Kern nicht. Es gibt keine Gebote, wie und wie oft und wann man zu beten oder sonstige religiöse Handlungen auszuführen habe. Es gibt keine auf Jesus rückführbaren Gebote in Bezug auf Kleidung, Haarschnitt, Ernährung, Partnerschaft usw.. Jesus hat diesem allem keine Bedeutung zugestanden, denn sein Reich war nicht von dieser Welt. Seriöse Christen wie Atheisten müssen also ihre Individual- und Sozialethik in jedem Zeitalter neu und ziemlich unabhängig von heiligen Schriften definieren, und der gemeinsame Konsens liegt im Humanismus und seinen Werten.

Ganz anders sehen dagegen die geistigen Grundlagen des Orients aus, der im Nahen Osten zu etwa 90% vom Islam geprägt ist. In vieler Hinsicht sind die Religionsstifter Jesus und Muhammed diametral entgegengesetzte Typen mit ebenso entgegengesetzten Programmen. Während Jesus auf ein jenseitiges Reich hinarbeitete und dafür auch sein Leben hingab, wollte Muhammed eine gottgefällige Gesellschaft auf Erden errichten. Dafür musste er nicht nur mit missionarischen, sondern auch politischen, wirtschaftlichen und sogar militärischen Mitteln kämpfen. Von einem verarmten Händlersohn stieg er – rein äußerlich gesehen – zum König von Arabien auf. Seine Erben und Nachfolger eroberten binnen weniger Jahrhunderte den heutigen Vorderen und Mittleren Orient und machten dort den Islam zur Staatsreligion. Der politische und notfalls auch militärische Kampf ist also von Anfang an ein wichtiger Pfeiler der islamischen Mission gewesen.

In gewisser Hinsicht hatte Muhammed eine schwerere Aufgabe zu bewältigen als Jesus. In seiner Funktion als weltlicher Herrscher – die freilich einem göttlichen Zweck diente – musste er sich um Rechtsprechung, Wirtschaft, Stammestraditionen, Politik und Soziales kümmern und alle diese Bereiche im Sinne von Gottes Geboten zum großen Teil ganz neu ordnen. Es ist daher ganz selbstverständlich, dass die Befolgung einer Reihe von im Quran oder den Hadithen (biografischen Geschichten über Muhammed) niedergelegten Regeln und Gesetzen innerster Bestandteil des Islam sind und nur in einem relativ engen Rahmen neu interpretierbar sind. In diesem Sinne ist der Islam im Gegensatz zum Christentum eine Gesetzes- und Buchreligion. Eine Aufgabe der wesentlichen Gesetze und Riten des Islam käme einer Aufgabe des Islam gleich. Im Christentum dagegen gibt es keine unumstößlichen Regeln oder Gesetze. Sogar das altehrwürdige und in allen Kirchen gemeinsam gesprochene Glaubensbekenntnis kann völlig neu formuliert werden, wie ich jüngst in einem Weihnachtsgottesdienst erlebte.

Es gibt noch zwei weitere grundlegende Unterschiede zwischen Morgenland und Abendland. Wie schon gesagt, war und ist Europa nur etwa zur Hälfte von der Religion geprägt, ansonsten ist es der Hort der Philosophie und des wissenschaftlichen Denkens. Das Morgenland ist hingegen zu etwa 90% vom Islam und zu 99% vom Gottesglauben geprägt. Atheisten bzw. Nicht-Gläubige gibt es dort nur sehr wenige, offen erklärte so gut wie gar nicht. Ein Nicht-Geltenlassen der Religion in diversen Gesellschafts- und Individualbereichen, d.h. eine strenge Trennung von Religion und Säkularbereich, ist für einen Orientalen nur schwer nachvollziehbar. Gottes Vorschriften gelten überall, denn es ist ja Gottes Werk durch seinen Propheten Muhammed, die irdische Welt in ein Gottesreich zu verwandeln.

Der andere große Unterschied zwischen Orient und Okzident ist nur indirekt religiöser Art. Zwei Jahrtausende getrennter Wege haben gänzlich andere Mentalitäten geschaffen. Schlagwortartig lässt sich das folgendermaßen vereinfachen: Europäer sind intellekt-betont, Orientalen sind gefühlsbetont. Hier liegt das größte und eigentliche Problem. Während auf individueller Ebene intellektuelle und gefühlsmäßige Menschen gut befreundet sein und einander ergänzen können, erscheint mir eine harmonische Koexistenz dieser beiden Typen im großen gesellschaftlichen Rahmen auf schnelle Grenzen zu stoßen. Die gegenseitige Nicht-Toleranz ist beispielhaft am Israel-Palästina-Konflikt zu sehen. Es geht dabei weniger um Juden gegen Muslime, sondern vielmehr um Westler gegen Orientalen. Mit den orientalischen Juden, die in Palästina vor 1900 lebten, kamen die Muslime gut zurecht. Mit den aus dem Abendland eingewanderten und europäisch denkenden Juden, die heute das Staatsvolk Israels bilden, ist ganz offensichtlich keine friedliche Koexistenz möglich. Gegenseitige Verachtung und Ablehnung sind an der Tagesordnung. Israel ist in gewisser Hinsicht der Nachfolger der mittelalterlichen Kreuzfahrerstaaten im Heiligen Land. Auch diese wurden von den Orientalen als Fremdkörper gehasst und mussten nach 200 Jahren Kampf von den Europäern aufgegeben werden.

Für uns in West-Europa stellen sich nun die Fragen andersherum: Bis zu welchem Grade erlauben es islamische Religion und Mentalität den in der westlichen Gesellschaft lebenden Muslimen, die europäischen Werte und Traditionen echt zu verinnerlichen? Wie hoch kann der – eventuell auch nur „gefühlte“ – Prozentsatz an nicht-anpassungsbereiten Muslimen steigen, bis es zu breiten Hassreaktionen und schließlich gar zur Vertreibung seitens der europäisch orientierten Bevölkerung kommt? Werte und Mentalitäten, die in Jahrtausenden gewachsen sind und unter großen Opfern erkämpft wurden, werden von einer zur Gegenwehr fähigen Bevölkerung niemals aufgegeben. Ein friedliches und einander bereicherndes Zusammenleben von Bevölkerungen stark unterschiedlicher Mentalitäten ist eine Aufgabe von Jahrhunderten. Sie kann auch nur gelingen, wenn die geografischen Räume der jeweiligen Großkulturen nicht von den anderen angetastet und überfremdet werden. Insofern ist Israel ein tragischer Unglücksfall, für den keine positive Lösung in Sicht ist. Er ist ein schwerer Störfaktor auf dem langen Weg zur bereichernden globalen Koexistenz der unterschiedlichen Religions- und Völkermentalitäten. Auf lange Sicht ist diese Koexistenz das erstrebenswerte Ziel und nicht etwa, wie viele naive Europäer und noch mehr Amerikaner meinen, die sogenannte Aufklärung und Säkularisierung aller nicht-westlichen Völker. Die Abendländer müssen lernen, dass ihr Lebensentwurf und ihre Weltsicht nur jeweils eine von mehreren gleichwertigen Möglichkeiten sind.


Bildquelle Koran: http://www.greenpalace.de/images/tempx_wf_islam_koran_g.jpg

Geschichte, Gesellschaft, Religion, Weltkultur.