Worte und Gleichnisse Ramakrishnas

Religion, Weltkultur.

Shri Ramakrishna (1836-1886) lebte in Bengalen und war einer der bedeutendsten indischen Mystiker der Neuzeit.

Eines Tages sandte Ramakrishna einen Schüler auf den Markt, um einen Tiegel zu kaufen. Dieser sprach die religiösen Gefühle des Ladenbesitzers an und bat ihn, einen guten Topf auszusuchen. Nach dem Kauf kehrte er heim. Bald aber stellte sich heraus, dass der Tiegel einen Sprung hatte.
Als der Meister dies hörte, sprach er vorwurfsvoll zu seinem Schüler: “Ein Frommer darf kein Tor sein. Ein Ladenbesitzer denkt nicht an Gott, wenn er mit seinen Käufern verhandelt. Als Du ihm vertrautest, hast Du töricht gehandelt. Du hättest den Topf untersuchen sollen, ehe Du ihn kauftest. Gib acht, dass Du in Zukunft nicht wieder betrogen wirst. Wenn Du einkaufen gehst, dann stelle erst den angemessenen Preis fest, indem Du in verschiedene andere Läden gehst und das Gesuchte gründlich prüfst, bevor Du es nimmst.”

Du kannst Dich nicht von der Arbeit in der Welt freimachen, da Dich die Natur dazu drängt. Darum verrichte alle Arbeit, so wie es notwendig ist.

Verrichte mit Wachsamkeit Deine Arbeit in der Welt, aber hänge nicht an ihr.

Solange ich lebe, solange habe ich zu lernen.

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Eine Gruppe Fischweiber wurde auf dem Heimweg aus einem entfernten Marktplatz von einem starken Hagel überrascht. Sie mussten in dem Haus eines Blumenhändlers Unterschlupf suchen und durften die Nacht in einem Zimmer verbringen, in dem lieblich duftende Blumen gestanden hatten. Die Luft aber war zu gut für die Frauen, und sie fanden keinen Schlaf. Endlich kam eine von ihnen auf den Gedanken, einige Tropfen Wasser auf die leeren Fischkörbe zu gießen und diese ganz dicht neben sich zu stellen, damit der beunruhigende Geruch der Blumen nicht weiter ihren Schlaf störe. Voller Freude wurde diesem Vorschlag zugestimmt, und bald begannen sie alle zu schnarchen.
So groß sind Macht und Einfluss der Gewohnheit. Die weltliche Seele, die in materiellem Denken und Umgang aufgezogen und an diese gewöhnt ist, kann nicht lange in einer Atmosphäre der Reinheit und Entsagung atmen, ohne Unruhe und Unbehagen zu empfinden.

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Merkst Du, dass die wahre Erwähnung von Gottes Namen Tränen in Deinen Augen hervorruft und Deine Haare zu Berge stehen lässt, dann wirst Du wissen, dass Du Dich von der Bindung an Lust und Gold befreit und Gott erlangt hast.

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Einst sprach Krishna zu Arjuna: “Wenn Du jemand erblickst, der Yoga-Kräfte zur Schau stellt, so wisse, dass die­ser Gott nicht erfahren hat. Denn die Ausübung solcher Kräfte verlangt Ahamkara oder Ich-Willen. Dieser aber ist ein Hindernis auf dem Weg der Verwirklichung.”

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Wie verschiedenartige Ornamente mit verschiedenen Formen und Namen aus dem gleichen Goldklumpen hergestellt werden, so wird in verschiedenen Jahrhunderten und Ländern der Eine Gott in verschiedenen Namen und Gestalten verehrt.

Höchste Sehnsucht ist der sicherste Weg zur Gottesschau, wie verschiedenartig auch die Weisen der Gottesverehrung sind und wie Er genannt werden möge. Es ist doch der Eine Gott, der unter so vielen Namen auf diese vielfältigen Weisen verehrt wird.

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Ein Krug, der im Wasser steht, ist mit Wasser gefüllt und von Wasser umgeben. Ebenso sieht die in Gott versunkene Seele den alles durchdringenden Geist innen und außen.

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Gott verkörpert sich auch im Menschen, um ihm die Herrlichkeit des Göttlichen zu offenbaren. Durch diese Manifestation kann der Mensch mit Gott sprechen und sein Spiel schauen. In menschlicher Verkörperung erfreut sich Gott sozusagen seiner eigenen transzendenten Herrlichkeit in all ihrer Fülle.

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Als der Bhagavan [Ramakrishna] gefragt wurde, warum er nicht mit sei­ner Frau das Leben eines Hausvaters führe, antworte­te er: “Der Gott Kartika (Kartikeya) kratzte eines Tages ei­ne Katze mit seinem Nagel. Zu Hause bemerkte er, dass seine Mutter eine Schramme auf der Backe hatte und fragte sie, wie diese hässliche Schramme entstanden sei. Die Mutter des Weltalls antwortete: “Dies ist das Werk Deiner Hand. Es ist der Kratzer Deines Nagels.” Verwundert fragte Kartika: “Wie ist das möglich, Mutter, ich erinnere mich nicht, Dich jemals geritzt zu haben.” Sie antwortete: “Mein Lieber, hast Du vergessen, dass Du heute früh eine Katze gekratzt hast?” “Das tat ich, aber wie ist die Schramme auf Deine Wange gekommen?” Da gab die Mutter zur Antwort: “Mein liebes Kind, nichts existiert in der Welt außer mir. Ich bin die ganze Schöpfung. Wem immer Du Schaden zufügst, Du schadest nur mir.”
Kartika war über diese Worte sehr bestürzt und beschloss, niemals zu heiraten, denn wen hätte er heiraten sollen? In jeder Frau sah er nun die göttliche Mutter. Nachdem er die Mutterschaft der Frau erkannt hatte, entsagte er der Ehe. Ich bin wie Kartika. Auch ich sehe in jeder Frau die göttliche Mutter. Alle Frauen sind Teile der gesegneten Mutter und sollen als Mütter verehrt werden.

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Ist das Innere von der Bindung an sinnliche Gegenstände frei, wendet es sich unmittelbar an Gott und ist auf Ihn gerichtet. Gebundene Seelen werden auf diese Weise frei. Seelen, die den Weg gehen, der von Gott fortführt, sind gebunden.

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Shri Ramakrishna fällt im Kreise seiner Jünger stehend in Trance

Menschen vergießen Ströme von Tränen, weil ihnen kein Sohn geboren wurde, andere richten ihr Herz zugrunde, weil sie keine Reichtümer erlangen können. Aber wie viele gibt es, die weinen und sich sorgen, weil sie Gott nicht geschaut haben? Wer sucht, findet ihn: wer mit innigstem Verlangen nach Gott weint, hat Gott gefunden.

Der Feuerstein kann Myriaden von Jahren unter Wasser liegen und doch verliert er niemals sein inneres Feuer. Wenn Du ihn am Eisen reibst, wird der glühende Funke herausspringen. So fest ist der wahre Fromme in seinem Glauben. Wenn er auch von allen Unreinheiten der Welt umgeben ist, wird er doch niemals Glauben und Liebe verlieren.

Wie ein Kind durch Tränen und Drängen seiner Mutter hartnäckig Spielzeug und Pfennige abschmeichelt, so wird am Ende der, der Gott als das ihm nächste und teuerste erkennt, und der, wahrhaft im Herzen, wie ein unschuldiges Kind nach Seinem Anblick sich verzehrt, mit der Schau der göttlichen Schönheit belohnt.

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Eine hohe Mauer umgab einen Ort, von dessen Aussehen die draußen Stehenden nichts ahnten. Vier Menschen beschlossen deshalb, die Mauer mit einer Leiter zu ersteigen, um zu sehen, was dahinter sei. Kaum war der erste auf die Mauer gestiegen, da lachte er hell auf und sprang auf die andere Seite hinunter. Auch der zweite lachte voller Freude auf und sprang hinab. Das gleiche tat der dritte.
Als der vierte und letzte auf die Mauer stieg und herabblickte, sah er einen wunderbaren großen Garten mit herrlichen Anlagen voll köstlicher Früchte und empfand große Lust hinabzuspringen und sich in diesem Garten zu ergehen. Doch er widerstand der Versuchung. Er stieg wieder herab von der Leiter und verkündete allen Umstehenden die köstliche Botschaft von dem herrlichen Garten.

Es gibt zweierlei Arten von Menschen. Zu einem seiner Schüler sprach der Guru: “Was ich Dir mitteile, ist von unschätzbarem Wert. Behalte es für Dich, und der Schüler bewahrte es für sich. Als aber der Guru diese Weisheit einem anderen mitteilte, ging dieser, der ihren unschätzbaren Wert erkannte und ihn nicht allein genießen wollte, auf einen hochgelegenen Platz und begann, sie allen Menschen zu verkünden.

Es gibt zweierlei Vollendete in der Welt. Diejenigen, die nach Erlangen der Wahrheit sich ihrer schweigend erfreuen ohne an andere zu denken und jene, die nach Erlangen der Wahrheit keine Freude daran haben, diese bei sich selbst zu behalten, sondern mit lauter Stimme allen entgegenrufen: “Kommt und erfreuet Euch mit uns der Wahrheit!”

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Das starke Herz des Gläubigen verzagt nicht inmitten von Versuchungen und Verfolgungen, aber der Mensch mit schwachem Glauben wird selbst von einer Kinderei beunruhigt.

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Zwei Männer gingen in einen Garten mit Mangobäumen. Der eine zählte die Bäume und überschlug, wie viel jeder von ihnen Früchte trüge. Dann rechnete er sich den ungefähren Wert des ganzen Obstgartens aus. Der andere ging zu dem Besitzer, pflückte mit dessen Erlaubnis stillschweigend Früchte und verzehrte sie. Wer, meinst Du, war der Weisere von diesen beiden?
Iss die Mangos, und Dein Hunger wird gestillt. Was ist der Vorteil, wenn Du die Früchte zählst und Berechnungen anstellst?

Der Mensch des müßigen Denkens ist sinnlos damit beschäftigt, das Warum und Wozu der Schöpfung herauszufinden, während der demütige Weise sich mit dem Schöpfer vertraut macht und selbst in dieser Welt höchste Seligkeit genießt.

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Ein Schüler fragte: “Herr, wie kann ich Gott erlangen?” Da nahm ihn der Meister zum Meer und tauchte ihn unter Wasser. Nach kurzer Zeit ließ er ihn wieder los und fragte: “Wie hast Du Dich gefühlt?” Der Schüler antwortete: “Ich glaubte, mein letzter Augenblick sei gekommen. So verzweifelt war ich.” Da antwortete der Meister: “Du wirst Gott schauen, wenn Dein Verlangen nach Ihm so inbrünstig ist wie Deine Sehnsucht nach Luft in diesem Augenblick.”

Weißt Du, wie stark unsere Liebe zu Gott sein soll? Wie die Liebe, die eine hingebungsvolle Frau zu ihrem geliebten Mann fühlt, wie die Zuneigung, die ein Geizhals für seinen angehäuften Reichtum hat, und wie das brennende Verlangen, das die weltlich Gesinnten für die Dinge der Welt hegen. Kommt die Stärke des Verlangens Deines Herzens nach dem Herrn der Summe dieser drei gleich, dann wirst Du Ihn erreichen.

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Quelle:
Ramakrishna: “Leben – Gleichnis – Wort”, 1963, Weilheim, Otto Wilhelm Barth Verlag

Religion, Weltkultur.