Nassim N. Talebs Buch „Der Schwarze Schwan“ ist eine passende Antwort auf die Verunsicherung durch unerwartete Veränderungen, ein Augenöffner, der uns helfen kann, plötzlich hereinbrechende Giga-Ereignisse seelisch zu bewältigen und immuner gegenüber zukünftigen Schocks zu werden. Der Untertitel „Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ deutet es bereits an: Hier geht es ums Eingemachte. Der Autor legt überzeugend dar, dass sich die wirklich gesellschaftsverändernden Kräfte und geschichtlichen Weichenstellungen nicht gesetzmäßig vorhersagen lassen. Alle unsere Hochrechnungen sind umso unsinniger, je weiter sie in die Zukunft vorgreifen wollen. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges war ein Zufall, der 11. September 2001 hat das Bewusstsein der Menschen schlagartig verändert, jetzt gewiss auch die AKWs von Fukushima. Kleine, zuerst unwichtig erscheinende Ereignisse oder unbedeutende Personen können Weltlawinen in Gang setzen. Wer hätte die Welterfolge von Google, Wikipedia oder Facebook vorhersagen können, wer die schlagartigen Wallstreet-Pleiten 2008, die die Welt in die größte Finanzkrise aller Zeiten stürzten? Auf sogenannte Börsengurus ist nie Verlass, sie landen eher Zufallstreffer. Wer hatte vor 20 Jahren schon einmal vom „Internet“ gehört, wer hätte ahnen können, dass dieses das Leben stärker verändern würde als die Erfindung von Auto, Fernseher oder Telefon? Das Manuskript von Joanne K. Rowlings „Harry Potter“ wurde von zig Verlagen abgelehnt, bevor es zu einem der größten Bucherfolge aller Zeiten wurde. Der Reichtum und die Sonderstellung von Bill Gates beruhen auf einem glücklichen Zufall. Nur im Nachhinein lassen sich für gigantische Erfolgsstories oder Riesenkatastrophen schöne Theorien aufstellen und angeblich logische Gesetzmäßigkeiten formulieren.
Taleb, ein christlich-libanesischer US-Immigrant, war einst erfolgreicher Börsenhändler und galt nach mehreren Veröffentlichungen als »Hauptdissident der Wall Street«. Laut Kurzbiografie in seinem Buch ist er heute »Dean’s Professor für die Wissenschaft der Unsicherheit an der University of Massachusetts in Amherst«. Wissenschaft der Unsicherheit? Man mag daran zweifeln, dass es ein solches Fach wirklich gibt, notwendig erscheint eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Grauzone allemal. Taleb zerpflückt systematisch unsere vertrauten Sicherheiten, aber er ist nicht destruktiv, sein Buch ist erzählerisch, sehr humorvoll und philosophierend geschrieben. Eine gewisse Art von Sicherheit erlangen wir auch dadurch zurück, dass wir lernen, die unerwarteten Wendungen des Lebens als ebensolche machtvollen Bestandteile des Lebens anzuerkennen wie die vorhersagbaren gesetzmäßigen Verläufe. Der Autor meint sogar, dass der einschneidende Zufall mit unerwartet großen Auswirkungen das Leben des Einzelnen und der Gesellschaft heute wesentlich mehr als in früheren Jahrhunderten bestimmt. Der Große Zufall ist zu einem Charakteristikum des modernen Lebens geworden!
Der Zufall-Theoretiker und Statistik-Grenzgänger Taleb hat sein Buch schon 2007, also vor dem Ausbruch der Großen Finanzkrise geschrieben, doch tendenziell bzw. von der Idee her ist diese ebenso wie das Reaktor-Unglück von Fukushima darin bereits enthalten. Das Buch animiert in gewisser Weise zu einem Zen-artigen Lebensstil im Hier und Jetzt, zu einem Schwimmen, ja „Floaten“ ohne festen Boden unter den Füßen. Wir lernen so den Dingen gelassener ins Auge zu sehen, die eigentlich nie geschehen dürften – und doch plötzlich immer wieder geschehen.
Von Nassim Nicholas Taleb sind auf Deutsch erschienen:
Der schwarze Schwan : die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse; 2010 dtv-Taschenbuch (entspricht der Hardcover-Ausgabe des Hanser Verlags von 2008)
Der schwarze Schwan – Konsequenzen aus der Krise; Hanser 2010; Hardcover. (Essay, der auf den Gedanken des SchwarzerSchwan-Hauptbandes aufbaut und praktische Lehren aus der Großen Finanzkrise ableitet)
Narren des Zufalls : die verborgene Rolle des Glücks an den Finanzmärkten und im Rest des Lebens; Wiley; kartonierte Ausgabe 2008 (entspricht der 2.,aktualisierten Hardcover-Auflage von 2006)
Hier einige Rezensionen aus führenden Medien:
Tagesspiegel: Schwarze Schwäne gibt es nicht