Der Mensch verfügt über 3 Weisen der Informationsverarbeitung und Entscheidungsfindung. Die gesellschaftlich anerkannteste ist die rationale Analyse und Hochrechnung unter Einbezug der Alltagserfahrung. Gleichermaßen bekannt aber nicht immer anerkannt ist das gefühlsgesteuerte Urteil. Wir entscheiden uns für oder gegen eine Sache, weil Emotionen wie Gier, Lust, Rache, Angst usw. uns dies diktieren. An den allermeisten Entscheidungen sind sowohl die Ratio als auch das Gefühlsleben beteiligt. Wir setzen jedoch unterschiedliche Schwerpunkte. Wenn wir z.B. Entscheidungen treffen müssen, die den finanziellen Erfolg unseres Unternehmens sichern sollen, so werden wir uns überwiegend nach nüchternen Daten und rationalen Gutachten richten. Wenn es aber darum geht, uns einen schönen, gemütlichen Feierabend zu gestalten oder die nächste Urlaubsreise zu planen, dann werden emotionale Argumente den größeren Stellenwert besitzen.
Es gibt noch eine dritte Weise, Informationen aufzunehmen. Sie wird als »Intuition«, »Sechster Sinn«, oder »Übersinnliche Wahrnehmung« bezeichnet. Es gibt unterschiedliche Theorien über die Quelle der Intuition. Anhänger eines materialistisch-physikalischen Weltbildes sehen sie als Funktion des Gehirns, alle je unbewusst durch die gewöhnlichen fünf Sinne aufgenommenen Eindrücke effizient zu verarbeiten und deren aktuell wichtige Essenz schnell für konkrete Entscheidungen zur Verfügung zu stellen. Spirituell eingestellte Menschen betrachten die Intuition oder den Sechsten Sinn als eine Fähigkeit der »Seele«, ein unendliches Informationsreservoir außerhalb der physischen Existenz anzuzapfen. Für die Einübung und Praxis der Intuition mag ihre theoretische Erklärbarkeit unwichtig sein. Dennoch möchte ich betonen, dass ich eine rein materialistische Modellvorstellung für zu eng und unbefriedigend halte. Bestimmte hellseherische Phänomene sind damit nicht zu erklären. Ich schlage deshalb vor, einen »übersinnlichen« Zusammenhang aller Wesen und Dinge als Arbeitshypothese anzunehmen, wie immer dieser auch beschaffen sein mag. Ob er in einem naturwissenschaftlichen Sinne je nachgewiesen werden wird, wollen wir dahingestellt sein lassen, und wir wollen auch keinen unbedingten Glauben daran zur Voraussetzung machen. Eine solche Vorstellung einer universalen oder »kosmischen« Vernetzung erleichtert jedoch die Integration des Sechsten Sinnes ungemein. Nützlich ist ein eher spielerisches Eingehen auf die Arbeitshypothese der allgegenwärtigen Verbindung, ein Für-Möglich-Halten, ein Auf-Sich-Zukommen-Lassen. Vorstellungen, Phantasien, Meditationen sind ein wirksamer Köder, mit der die jedem Menschen innewohnende außer-sinnliche Fähigkeit der intuitiven Erkenntnis aus ihrer Höhle herausgelockt werden kann.
Gewissermaßen als Vorgeschmack der noch einzuübenden Funktion – bzw. des noch einzulassenden Helfers – seien hier einige Hauptcharakteristiken aufgeführt:1
- Die Intuition kann als einzige Sinneskraft tatsächlich Wahrheit und Täuschung erkennen.
- Die Intuition macht Wahrheiten erlebbar! Wir empfinden Wahrheiten nur durch Intuition. Die Daten der Außensinne werden wie in einem Computer verarbeitet, und die daraus entstehenden Urteile sind lediglich Wahrscheinlichkeitsrechnungen und Hochrechnungen, die nichts mit Wahr oder Falsch zu tun haben.
- Intuitive Beurteilungen brauchen weder erlernte noch erfahrene Vor-Urteile. Sie erfolgen unmittelbar und sind rein als sie selbst empfindbar.
- Da bei intuitiven Bewertungen kein Vergleichen, Hochrechnen oder Bilden neuer Mengen erforderlich ist, entstehen intuitive Urteile auch schneller als Erfahrungsurteile. Daran ist intuitive Beurteilung gut zu erkennen: Sie ist ohne Zögern parat. Meist versuchen wir dann im Nachhinein, Begründungen dafür zu finden. Doch faktisch ist dieses intuitive Urteil ohne die künstlichen, nachträglichen Begründungen entstanden.
Grenzen der Machbarkeit
Eine Reihe von Management-, Erfolgs- und Esoterik-Lehren suggeriert, dass man mit entsprechendem geistigen Training und geeigneten Handlungsstrategien sein Schicksal vollkommen in die Hand nehmen und zu größtem Erfolg führen könne. Dies ist eine Hybris, die jeder Menschheitserfahrung widerspricht. Tatsächlich ist das »Machen« nur eine von zwei Seiten der Lebensrealität. Ebenso wichtig für ein erfülltes Leben ist das »Annehmen«. Nur eine individuell stimmige und ausgewogene Kombination dieser beiden Aspekte kann als glückliches und erfolgreiches Leben bezeichnet werden. Zweifellos können wir unsere Wirksamkeit und unsere Lebensqualität durch Einsichten und Anstrengungen erhöhen, doch ist uns immer ein quasi »angeborener« Rahmen vorgegeben, den wir nicht verlassen können. Seit Jahrtausenden befassen sich philosophische Gemüter mit der Frage von freiem Wille und Vorherbestimmung, ohne zu einem befriedigenden Schluss zu kommen. Wir wollen hier das Rad nicht neu erfinden und uns nicht für weiser halten als viele Denker-Generationen vor uns. Wir können für uns jedoch brauchbare pragmatische Schlüsse aus dieser Menschheitsdebatte ziehen:
- Vorherbestimmung und freier Wille sind beide wahr, auch wenn unser Verstand dies für ein Paradoxon hält.
- Das Leben ist immer etwas inkonsequent, unscharf und paradox.
- Es ist dem Leben angemessen, diese Unschärfe und Inkonsequenz anzunehmen und weder vollkommene rationale Erkenntnis noch vollkommene Machbarkeit anzustreben. Beide Extrem-Bestrebungen führen ins Unglück.
- Wir sollten das Leben spielerisch angehen und uns einfach über jede Erweiterung unseres gegenwärtigen Spielraums freuen.
Das Orakelwesen ist ein großes Gebiet methodisch gelenkter Intuition. Spiel und Wahrsagen stehen in enger ursprünglicher Beziehung. Dies ist sogar historisch nachweisbar.2 Alle populären Spiele enthalten einen Zufallsgenerator, d.h. eine unvorhersehbare Weichenstellung z.B. in Form eines Würfels oder einer Kartenmischung. Aber genau wie das wirkliche Leben verlangen unterhaltsame Spiele auch Verstand und Taktik. Mit guter Kenntnis der Regeln und mit einer ausgefeilten Strategie lässt sich trotz des Glücks- oder Zufallsfaktors Meisterschaft in einem Spiel erringen. Dies jedoch nur über einen langen Zeitraum und im Schnitt bei einer großen Zahl von Spielen. Ein einzelnes Spiel kann und wird immer mal verlorengehen, auch bei langer Spielerfahrung.
Weissagung reflektiert das Schicksal. Wenn Weissagung und Spiel eng verwandt sind, so gilt gleiches auch für Spiel und Schicksal. Das Leben wie ein Spiel anzugehen ist also keine resignierende oder gar zynische Allerweltsweisheit, sondern tiefes uraltes Menschheitswissen.
Wir hatten eingangs die bekannten drei Existenzweisen Körper, Seele und Geist erwähnt. In Geist und Seele können wir uns in hohem Maße selbständig und unabhängig machen, meist über eine gewisse Absonderung und Rückzug in die Stille. Der Philosoph und der analysierende Wissenschaftler erreichen so die Spitze dessen, was der Intellekt vermag. Begnadete Mystiker und Künstler erlangen höchste Stufen der Seelenverwirklichung. Auf der Körper-Ebene sind wir jedoch in einem viel stärkeren Maße nicht nur mit dem Menschheitskollektiv, sondern mit der gesamten materiellen Welt verbunden. Deren Schicksal wirkt über unseren Körper auch in unser Individual-Schicksal hinein, d.h. eine Schicksalsgestaltung ist uns nur in einem recht begrenzten Rahmen möglich, eine Loslösung vom Kollektiv ist hier weitaus weniger und langsamer möglich als auf den Ebenen von Intellekt oder Seele. Das ist auch der Grund, warum in unserer kranken Welt vollkommene körperliche Gesundheit trotz bester Gesundheitslehren und -therapien unmöglich ist. Auch Gesundheitsapostel und Erleuchtete erleiden manchmal schlimme Krankheiten, gegen die sie machtlos sind. Im Gegensatz zum Geistes- und Seelenleben müssen wir auf der Körper- und Schicksalsebene viel bescheidener sein und uns mit Teilerfolgen zufriedengeben.
Im östlichen Denken wird dieser Zusammenhang als Karma bezeichnet. Man sieht einen Teil des Schicksals – und denkt dabei insbesondere an die materiellen Verhältnisse und die Körper-Verfassung – als unausweichlich und von früheren Existenzen vorgeprägt. Diese Vorprägungen schlagen sich zwar im Körper und im äußeren Schicksal nieder, sind jedoch ein Teil oder Aspekt des immateriellen Ich, der Individual-Seele. Die Mehrheit der westlichen Denker glaubt nicht an die Wiedergeburt. Sie sehen die unabwendbaren Schicksalszusammenhänge und Vorprägungen eher als genetisch oder kausal-physikalisch oder – theologisch – als göttliche Vorsehung. Die Psychologie C.G.Jungs postuliert in jedem von uns die Präsenz des Kollektiven Unbewussten, das sowohl räumlich als auch zeitlich über uns Individuen hinausreicht und Ähnlichkeiten mit einer Anima Mundi, einem Weltgeist hat. Von diesem seien wir weitaus stärker geprägt und vorherbestimmt als von unserem Individualbewusstsein. Wie dem auch sei, wir wollen hier nicht über diese große Frage philosophieren. Eines wird bei diesem Überlegungen deutlich: Über die inneren Ich-Prägungen und den Körper sind wir offensichtlich mit einem überindividuellen Schicksal und den dazugehörigen Informationen verbunden.
Dieses Überindividuelle ist es, was sich im Individuum als »Intuition«, als »Sechster Sinn«, als »Hellsehen«, als »Vorauswissen« äußert. Anders als durch überindividuelle Informationsfelder sind diese Phänomene zumindest in ihren beeindruckendsten Spielarten gar nicht zu verstehen. In der Intuition tut sich – überspitzt gesagt – der »Weltgeist« kund. Wenn wir der Intuition Raum geben, lauschen wir gewissermaßen in die Informationsebene der Welt. Jede Frage trifft auf einen präzisen Ausschnitt oder Pool von Informationen als genaues Gegenstück.
Goethe war ein großer Verkünder der direkten Schau der Dinge, eines wichtigen Aspektes der intuitiven Wahrnehmung. Bei ihm finden wir einige Hinweise auf den Zusammenhang zwischen der Natur und Intuition:3 Wenn die Philosophie “unsre ursprüngliche Empfindung, als seien wir mit der Natur eins, erhöht, sichert und in ein tiefes, ruhiges Anschauen verwandelt…, dann ist sie mir willkommen.” (1801). Er nennt diese Fähigkeit »anschauende Urteilskraft«. Zweifelsohne spricht Goethe von einer direkten Erkenntnis des Wesens der Dinge, unverstellt durch das Urteilen des Verstandes. Für ihn ist das empfindungsmäßige Eins-Werden mit der Natur eine wichtige Voraussetzung zur Entfaltung der direkten Wesensschau.
Es ist für die Entfaltung der Intuition förderlich, wenn man sich bei allen geeigneten Gelegenheiten die Einheitsschau mit der Umgebung einübt. Man stellt sich vor, dass man Teil des Großen Ganzen ist. Relativ leicht dürfte dies bei erhebenden Erlebnissen in der Natur sein, z.B. auf einer Bergwanderung. Doch auch in den Steinwüsten der Städte kann einem die Einheitsempfindung gelingen. Auch mit Menschen und Tieren kann man sich über energetische Bande verbunden fühlen. Man muss aus einer gelungenen Verschmelzungserfahrung keine Alleinheitsdoktrin ableiten und zum alleinseligmachenden Glauben machen. Es handelt sich zuerst einmal nur um eine Vorstellung und Erfahrung. Wie die Wirklichkeit dahinter in einem wissenschaftlichen, philosophischen oder theologischen Sinne aussieht, ist damit nicht entschieden.
Auch bevor man eine Frage an die Intuition richtet, sollte man sich kurz von seinem Alltags-Ich verabschieden – entweder durch Eintauchen in die Umgebung oder durch inneres Verlassen der Welt und Ausrichten auf das Göttliche Selbst. Nur scheinbar sind dies zwei völlig entgegengesetzte Bewegungen des Geistes; die innere Ruhe und Empfänglichkeit, die für intuitive Antworten nötig sind, können auf beiden Wegen erreicht werden.
Nützliche Übungen und Gewohnheiten
Der Psychologe Malcolm Westcott schreibt stark intuitiven Menschen folgende Eigenschaften zu:4
- Sie sind zuversichtlich und lösen Probleme oft in unkonventioneller Weise.
- Sie lesen und hören gerne Musik und sind an den großen abstrakten Fragen des Lebens interessiert (Wahrheit, Schönheit, menschliche Werte).
- Sie haben starkes Selbstvertrauen.
- Sie unterstützen aktiv die Sache, an die sie glauben.
- Sie sind selbstbewusster als der Durchschnitt und erkennen oft an, dass sie in ihrem Berufsleben und in ihren Ansichten stark von anderen Menschen beeinflusst werden.
- Sie haben keine Angst vor größeren Veränderungen in ihrem Leben.
- Sie sind aufgeweckt, anspruchsvoll, zuversichtlich, vorausdenkend, unkonventionell, einfallsreich, spontan und unabhängig.
Die Schwächen intuitiver Menschen sind:
- Es fehlt ihnen oft an gesellschaftlicher Geschliffenheit und Sicherheit.
- Sie fühlen sich oft im Rampenlicht nicht wohl.
- Es liegt ihnen meist nicht, gesellschaftliche Initiativen zu ergreifen.
Besonders wichtige Eigenschaften sind Unkonventionalität, Spontaneität und Selbstbewusstsein. Dies ist verständlich, denn intuitive Informationen bilden sich nicht erst allmählich, sondern treten spontan in das Bewusstsein ein. Häufig stellt sich auch ungefragt spontan die Stimme der Intuition ein, manchmal z.B. als »mulmiges Gefühl«, um uns vor einer Gefahr oder einem Nachteil zu warnen. Außerdem sind die Urteile und Entscheidungen, zu denen intuitive Informationen führen wollen, oft im Konflikt mit unserem Gewohnheitsdenken. Es braucht dann schon eine gehörige Portion an Spontaneität, Unkonventionalität und Selbstbewusstsein, den Vorschlägen der Intuition zu folgen. Wer z.B. bringt es schon fertig, innerhalb einer Reisegruppe mit dem gesamten Gepäck kurz vor dem Einchecken auf dem Flughafen kehrt zu machen und auf den Flug zu verzichten, nur weil ihn plötzlich ein warnendes Gefühl überfällt. Später stellt sich heraus, dass das Flugzeug entführt wurde oder gar abstürzte. Solche Geschichten von der warnenden inneren Stimme hört und liest man immer wieder. Doch muss man auch zugeben, dass man dabei sehr leicht einer Selbsttäuschung zum Opfer fallen kann. Man muss sich schon sehr genau kennen und im Griff haben, um echte intuitive Warnungen von inneren Schwächen und Ängsten unterscheiden zu können. Wer zur Flugangst neigt, wird sich wahrscheinlich vor jedem Abflug unwohl fühlen.
Wenn intuitive Menschen über bestimmte typische Eigenschaften verfügen, können wir umgekehrt auch davon ausgehen, dass die Einübung dieser typischen Eigenschaften die Intuition fördert. Ein solches Training sollte wie jedes andere mit kleinen Schritten beginnen. Eine Spontan-Entscheidung wie die obengenannte auf dem Flughafen ist natürlich zu gravierend in den Konsequenzen, um einem Anfänger zugemutet werden zu können. Unser Fernziel ist, in den kleinen, und vor allem aber in den großen Fragen des praktischen Lebens die für uns jeweils optimale Entscheidung treffen bzw. Antwort erhalten zu können, d.h. mit nahezu 100%iger Sicherheit. Es wäre am Anfang unsinnig und unverantwortlich, große Fragen wie etwa einen Hauskauf, einen Berufswechsel oder eine Eheschließung von spontaner Intuition abhängig zu machen. Auch wenn wir später zu erfahrenen Intuitiven geworden sind, werden wir im Vorfeld solche großen Themen mithilfe von Sachverstand und ehrlicher Gefühlsbefragung abklären müssen, bevor wir die Intuition zur letzten Entscheidung heranziehen.
Wir beginnen unser Training in Spontaneität, Unkonventionalität und Selbstsicherheit am besten bei kleinen »unwichtigen« Entscheidungen des Alltags. Fehler lassen sich dabei besser ertragen oder sogar wieder ausbügeln. Beispiele:
- Welche Kleidung soll ich heute anziehen?
- Was mache ich heute zum Abendessen?
- Welchen Film sehe ich mir heute mit meinem Partner (meiner Partnerin) an?
- Wohin mache ich den Sonntagsausflug?
- Wen aus meinem Freundeskreis rufe ich heute spontan einmal an?
Die Entscheidungen müssen innerhalb von 5 bis 10 Sekunden getroffen werden. Man kann auch für ca. 1 Minute meditativ abschalten und dann sofort entscheiden. Diese Meditation soll nur ein Stillewerden sein, um in den letzten Sekunden dieser Stille die Frage an den inneren Helfer zu richten. Keinesfalls sollte während der Meditation über die Frage selbst nachgegrübelt werden. An die getroffene Entscheidung muss man sich unbedingt halten. Wer sich zu Spontaneität, Unkonventionalität und Selbstsicherheit bei Entscheidungen anregen lassen will, mag den Kult-Roman »Der Würfler« von Luke Rhinehart lesen. Der Protagonist steigt aus dem gelangweilten Leben eines amerikanischen Psychoanalytikers aus, indem er von nun an in jeder Entscheidungssituation eine von sechs Möglichkeiten durch Würfeln bestimmt und sich radikal daran hält. Dies führt den Würfler zum Bruch mit allen gesellschaftlichen Konventionen. Der Roman hat ziemliche Schwächen, weil er unethisch und unspirituell ist und leider auch kein Wirken einer inneren Stimme zeigt, kann aber inspirieren, wenn es um Selbstsicherheit bei ethisch vertretbaren spontanen Alltagsentscheidungen geht.
Nach der Befolgung spontan gefällter Entschlüsse wird gelegentlich oder auch öfter das Gefühl entstehen, »falsch« entschieden zu haben. Man ist mit dem Resultat nicht zufrieden, vielleicht sogar frustriert. Objektiv lässt sich freilich nur in wenigen Fällen feststellen, ob eine Alternative tatsächlich zu einem befriedigenderem Ergebnis geführt hätte, vor allem auch langfristig. “Was wäre gewesen, wenn…?” ist meist eine hypothetische, ja illusionäre Frage. Es ist ja möglich, dass ein unbefriedigendes Ergebnis immerhin nur das geringste Übel ist, dass alle Alternativen noch schlimmere Folgen gehabt hätten. Oft erfährt man auch gar nicht, dass man nur um Haaresbreite einem Unglück entgangen ist. Wir sollten uns also nicht in theoretischer Hypothesenspielerei verlieren. Das brauchbarste und pragmatischste Kriterium zur Beurteilung unserer Entscheidungen im Nachhinein bleibt unsere subjektive Zufriedenheit, ein inneres Gefühl der Stimmigkeit. Auch dort, wo wir im ersten Moment unzufrieden sind, sollten wir nicht die Spontan-Entscheidungsübung als solche schlechtmachen, sondern uns zugestehen, öfter noch Anfängerfehler zu begehen. Weiterhin sollten wir uns bemühen, dem Ergebnis einige positive Aspekte abzugewinnen. Oft tauchen ein paar Pluspunkte dort auf, wo wir sie nicht erwartet hatten. Vielleicht war der ausgewählte Kinofilm tatsächlich langweilig, aber durch den Vorfilm oder einen vorangehenden Werbespot bekamen wir »zufällig« eine ganz wertvolle Idee. Vielleicht bekommen wir erst drei Wochen später von einer einzigen Szene des ansonsten uninteressanten Filmes »zufällig« eine wertvolle Inspiration. Vielleicht war das Restaurant wirklich eine schlechte Wahl, aber auf dem Nachhauseweg trafen wir »zufällig« eine wichtige Person.
Nach und nach wird der Prozentsatz der als »stimmig« empfundenen Entscheidungen in Alltagsdingen sehr hoch werden. Nach und nach gelingt es uns immer besser, auch in vordergründig »falsch« erscheinenden Entscheidungen positive Seiten zu sehen. Nach und nach wird so die anfangs teilweise erzwungene zu einer spontanen Selbstsicherheit. Mit ihr wächst automatisch die Gelassenheit. Dann können wir einen Quantensprung machen und auch wichtigere Lebensfragen mithilfe der Intuition beantworten und entscheiden. Je gravierender die Konsequenzen sind, desto mehr sollten wir alle Argumente von Verstand und Gefühl zusammentragen, d.h. eine konventionelle Entscheidungsgrundlage schaffen. Dies dient nur der Einübung größerer Selbstsicherheit und der Rechtfertigung uns selbst und anderen gegenüber. Bei intuitiver Meisterschaft benötigen wir keine Daten und Gutachten, sondern können stimmige, optimale Entscheidungen ohne diese Vorgaben treffen. Wir werden sie aber besser rechtfertigen können, wenn wir rationale Begründungen »vorschieben« können. Andere Menschen würden uns nicht für voll nehmen und auch kritisieren, wenn wir kein besseres Argument als »Sechster Sinn« vorbringen könnten. Insbesondere bei Entscheidungen, die in das Leben Anderer eingreifen, wie z.B. in einer Firma, haben diese Anderen ein Recht auf eine nachvollziehbare Begründung. Im Allgemeinen werden aber auch starke rationale Faktoren unsere eigentlich intuitiv gewonnenen Antworten unterstützen, sobald wir einen hohen Grad der Intuition erreicht haben.
In Einzelfällen wird uns der Sechste Sinn natürlich auch Ratschläge erteilen, die den rational gewonnenen Erkenntnissen und gewöhnlichen Erfahrungen ziemlich widersprechen. Es gibt verschiedene Strategien, um mit einem solchen Konflikt umzugehen:
- Aufschieben und nach einem angemessenen Zeitraum die Prüfung wiederholen.
- Bei großer Selbstsicherheit dennoch der Intuition folgen. Dies ist nur ratsam, wenn schon vorher solche »Entscheidungsschlachten« von der Intuition gewonnen wurden und wir somit Selbstsicherheit aus dem vergangenen Erfolg beziehen können.
Die Antworten der Intuition sollten wirklich »aus dem Bauch« heraus kommen, unter Umgehung von Herz und Kopf. Bauch, Herz und Kopf sind symbolisch die drei Wohnsitze von Wille, Gefühl und Verstand, den aus der klassischen Philosophie bekannten drei Seelenvermögen. Es ist unwahrscheinlich, dass der Ursprung dieser Vermögen wirklich in bestimmten Körperzonen lokalisierbar ist. Empfindungsmäßig und symbolisch ordnen wir ihnen diese jedoch zu. Uns Abendländern sind Herz und Kopf recht geläufig, der Bauch als Sitz einer seelischen Kraft – nämlich des Wollens – mutet uns jedoch etwas fremd an. Es sei deshalb auf die Kultur Ostasiens verwiesen. Im traditionellen japanischen Denken gilt Hara, die Körpermitte oder der Bauch als der Sitz des Lebens.
Im Zen und auch im Taoismus ist man bestrebt, von Verstand und Gefühl (Kopf und Herz) Abstand zu gewinnen, um das Leben selbst durch den Menschen agieren zu lassen. Bekannt sind z.B. die meditativen Geh-Übungen des Zen, in denen idealerweise nichts als »Gehen« das Bewusstsein erfüllen sollte. Die durch Taoismus und Zen viele jahrhundertelang kulturell geprägten Ostasiaten passen sich dem Willen ihres jeweiligen Kollektivs (Familie, Firma, Staat) weitaus selbstverständlicher und disziplinierter an als Menschen in anderen Kulturkreisen. Intuition und hören auf die Stimme der Natur, ja des Universums ist daher in Ostasien eine wichtige Säule von Kultur- und Geistesgeschichte. Nur in der chinesischen Kultur okkupiert ein Orakel- und Weisheitsbuch – das Yi Jing (I Ging) – einen Stellenwert, der bei uns mit dem der Bibel vergleichbar ist. Natursichtigkeit, eine Art Aura- bzw. Hell-Sehen und eine Spielart der Intuition, “hat die alten Chinesen derart fasziniert, dass es eine kulturgestaltende Bedeutung bekam”.5
Meditative Übungen und Lebenseinstellungen aus dem Geist des Zen, des Taoismus und des klassischen Yoga sind für die Freilegung der Intuition sehr geeignet, weil sie alle bestrebt sind, über die Bewegungen von Intellekt und Gefühlen hinauszugelangen – zur Leere oder zum reinen Sein. Parallel dazu schwingt der Mensch in den Fluss des Lebens ein.
- Zitiert nach A.Martiny Unser sechster Sinn, S.35f. [↩]
- Siehe Nigel Pennick Spiele der Götter. Ursprünge der Weissagung, 1992 [↩]
- Zitiert nach Ludwig Klages Goethe als Seelenforscher, 31949, S.31 [↩]
- Malcolm Westcott The Psychology of Intuition zitiert bei Milton Fisher Intuition. Das Geheimnis, in jeder Situation das Richtige zu tun, 31981, S.24f. [↩]
- Friedrich K. Engler Die Grundlagen des I-Ching, 1987, S.104; siehe dort auch S.102-109 [↩]