Im spirituellen Denken der Moderne nimmt die Idee des selbstgeschaffenen Schicksals einen wichtigen Platz ein. Nur rein oberflächlich ähnelt diese der materialistischen Wunschvorstellung vom Machertum und freien Willen des Individuums. Letztere ist nicht konsequent. Ein etwaiges Scheitern von Ambitionen wird von Materialisten nicht mit dem inneren Wesen des Handelnden in Verbindung gebracht. Wenn er Misserfolg hat, dann sind entweder widrige äußere Umstände daran »schuld« oder seine mangelhafte »Technik«, mit der er die Aufgabe in Angriff genommen hat.
Esoteriker sehen alle Resultate von Handlungen ganz radikal als vom innersten Selbst verursacht. Günstige oder ungünstige Umstände, gute oder schlechte Methoden sind nur sekundäre, d.h. oberflächliche Ursachen. Solange das Selbst auf Misserfolg programmiert ist, kann der Mensch seine Techniken noch so sehr perfektionieren, er wird Misserfolg ernten. Es können dann z.B. »zufällig« völlig unvorhergesehene widrige Umstände eintreten und den rational hochgerechneten Erfolg zunichte machen. Das Selbst zieht also sein Schicksal wie sein Spiegelbild an.
Von dieser Grunderkenntnis ist es nur ein kleiner Schritt zur nächsten Überlegung: Habe ich vielleicht mein ganzes Leben als solches, d.h. mit allen Startvoraussetzungen und Entwicklungsmöglichkeiten von vornherein selbst angezogen? Falls ja, müsste Frage 2 lauten: Habe ich mich gar freiwillig für dieses Leben entschieden, inklusive aller »Nachteile«? Wenn ja, warum? Sind diese »Nachteile« vielleicht gar keine?
Bevor wir diese Gedanken vertiefen, wollen wir uns die Quellen anschauen, die uns von einer bewussten Existenz vor dem Leben sprechen. Eine bewusste Präexistenz, in der man sich für ein Leben entscheiden könnte, ist nicht vorstellbar ohne die Voraussetzung der Reinkarnation. Wenn so etwas wie Wiedergeburt oder Seelenwanderung nicht gibt, so ist es zwar denkbar, dass Gott eine Seele erschafft und bis zur endgültigen physischen Geburt in einer Art Vorstadium oder Jenseitssphäre belässt. Doch ist es dann undenkbar, dass Gott die Seele ein Schicksal aussuchen oder gar selbst zusammenstellen ließe. Der Seele würde mit ihrer Erschaffung durch Gott auch zwangsläufig ein Schicksal vorgegeben werden, jedenfalls im Sinne der Startbedingungen. Denn zu einer Wahl- oder Entscheidungsmöglichkeit gehören Beurteilungskriterien, vorangegangene Erfahrungen und zu verfolgende Ziele, die eine neugeschaffene Seele aber noch nicht haben kann. Es kann dann zwar von einer Bejahung oder Annahme des gottgegebenen Schicksals gesprochen werden, nicht jedoch von einer freien Wahl. So ungefähr sehen es die großen Weltanschauungen, die die Lehre der Reinkarnation ablehnen. Wenn wir hier von einer möglichen Schicksalswahl vor dem Leben sprechen, so implizieren wir damit also einen Lauf der Seele durch mehrere bis unendlich viele Wiedergeburten. Anders machte die freie Schicksalswahl in der Präexistenz keinen Sinn. Gott hätte dann »nur« eine Berater-Funktion oder gar keine Funktion, wenn es um die Schicksalswahl in der Präexistenz geht. Es geht hier also um die Freiheit der menschlichen Seele in einem transzendentalen Sinne, d.h. die Freiheit, nicht einzelne Entscheidungen im Leben zu treffen, sondern ein Leben als Ganzes zu wählen – mit allen Möglichkeiten und Einschränkungen, die darin mehr oder weniger vorgegeben sind. Hier hätten wir es mit Antagonismus, wenn nicht Paradox zu tun: Freie Wahl für ein mehr oder weniger determiniertes Leben? Wie weit ginge die Determination? Lassen sich entgegen einer etwaigen Vorhersicht noch wichtige Lebensaspekte ändern?
Überdenken wir zuerst noch einmal den im Westen – d.h. in den Hauptströmungen von Judentum, Christentum und Islam – am weitesten verbreiteten nicht-materialistischen Weltanschauungsstandpunkt:
Gott erschafft die Seele, die nur ein einziges verkörpertes Leben in der materiellen Welt durchlebt. Gott stattet die Seelen mit unterschiedlichen Startbedingungen aus, d.h. Gene, Geschlecht, Grundcharakter, soziale Herkunft u.a. Dadurch werden die äußeren Entfaltungsmöglichkeiten auf einen bestimmten Rahmen eingeschränkt. Gott determiniert also das äußerliche Schicksal zumindest in gewissem Maße. Das kann nur bedeuten, dass von Gott her für jede Seele eine ganz individuelle – im Sinne des jeweiligen Glaubens »positive« – Entwicklung innerhalb eines mehr oder weniger determinierenden Rahmens vorgesehen ist. Ein gewisses Maß an freiem Willen erlaubt es der Seele, dieses von Gott vorgesehene individuelle Ziel ganz, teilweise oder gar nicht zu erreichen. Da meine Startbedingungen und damit auch mein grober äußerer Entwicklungsrahmen von Gott gewollt sind, ist es sinnvoll und gottgefällig, wenn ich diese individuellen Vorgegebenheiten bedingungslos akzeptiere und bejahe.
Die von Gott vorgenommenen individuellen »Voreinstellungen« der Seele mögen gewiss einen großen Spielraum zur Gestaltung des Schicksals beinhalten, doch sind dem Menschen in 99% aller Fälle deutliche Grenzen gesetzt. Kinder bettelarmer Slumbewohner haben gewiss eine theoretische Chance, Multimillionär oder Präsident ihres Landes werden. In extremen Ausnahmefällen mag sich solches ereignen – durch übermenschlichen Willen und/oder unwahrscheinliches »Glück«. Wir dürfen aber voraussetzen, dass Gott derart Übermenschliches und Unwahrscheinliches nicht von uns erwartet. Dies wäre mit unserem Bild vom gütigen und gerechten Gott unvereinbar. Gott kann von mir nur das durchschnittlich Menschenmögliche verlangen. Es ist aber durchaus legitim aus religiöser Sicht, wenn ich mir darüber Gedanken mache oder eventuell auch mein Horoskop darüber befrage, welche spezifische Rolle oder »menschenmögliche« Entwicklung – innerhalb meines determinierten Rahmens – Gott mir ausersehen hat.1
Diese Art von Glaube an die Vorsehung Gottes macht bei Betrachtung der allermeisten Biographien und für die allermeisten von uns ebenso viel Sinn wie der Glaube an Präexistenz und Karma. Das große Problem beim Glauben an ein gottgeführtes Einzelleben ist die Akzeptanz von Extrem-Schicksalen. Welchen Sinn kann aus Gottes Sicht z.B. die Geburt eines schwerbehinderten Menschen oder der Tod eines Kleinkindes haben? Hier stoßen auch Theologen an die Grenzen ihrer Dogmatik und wissen seit Jahrhunderten kaum bessere Antworten zu geben als den »unerklärlichen Ratschluss Gottes«. Es ist vor allem diese Schwachstelle in den westlich-theistischen Glaubenssystemen, die viele Menschen im Abendland dazu bewegt, sich mit dem Gedanken von Reinkarnation und Karma anzufreunden.2 Nur in den seltensten Fällen nehmen die Betreffenden jedoch eine östliche Religion an. Eher versuchen sie, die Idee der Wiedergeburt mit ihrem westlichen oder christlichen Weltbild in Übereinstimmung zu bringen.
Wir wollen diese dogmatische Kontroverse hier nicht vertiefen. Es gilt jedoch festzuhalten, dass der Glaube an den Schöpfer eines einzigen irdischen Lebens für die Seele zwangsläufig das Gutheißen und die herzensfrohe Bejahung der Rahmenbedingungen ebendieses Einzellebens einschließt. Dies mag in besonders schweren Schicksalsfällen unsere Glaubensfähigkeit übersteigen. Wer keine befriedigenden Antworten in den Lehren seiner Religion findet, dieser aber trotz solcher Glaubensanfechtungen treu bleiben möchte, sollte sich um Rat an gute Theologen oder Seelsorger seines eigenen Glaubens wenden.
Die frohe Zustimmung zur eigenen Grundpersönlichkeit und zu den eigenen Startbedingungen muss konsequenterweise Bestandteil einer westlichen – d.h. jüdisch-christlich-islamischen – Schicksalsethik sein, weil dieser Rahmen gottgegeben ist. Das bedeutet aber auch, dass diese individuelle Lebensbejahung Teil unserer innersten Natur sein muss, denn Gott kann von uns nichts verlangen, was unserem innersten Wesen zuwider ist. Weil die individuelle Persönlichkeits- und Schicksalsbejahung Teil des menschlichen Wesens ist, können wir sie in den Kulturen aller Völker finden.
Wie bereits angedeutet, ist die Ethik der modernen Astrologie im Prinzip mit dem christlichen Glauben vereinbar. Astrologen, die sich als Christen verstehen, und christliche Theologen, die der Astrologie nahestehen, haben dies bereits dargelegt.3 Dies gilt insbesondere für die bedingungslose Zustimmung zu den Persönlichkeits- und Schicksalsanlagen. Es geht sowohl astrologischerseits als auch christlicherseits nicht nur um die heute real existierende Person mit ihrem faktischen Schicksal, sondern auch um das, was in ihr angelegt bzw. als was sie von Gott »gemeint« ist. Das Horoskop ist weder Fatum noch Faktum, sondern ein Ideal, das zur Verwirklichung auffordert. Ein Astrologe, der sich als Seelsorger versteht und zum Seelenführer befähigt ist, vermag einem ratsuchenden Menschen anhand des Geburtsbildes eine Ahnung seiner »göttlichen« bzw. idealen Grundstruktur und seines spezifischen geistlichen Entwicklungsweges zu vermitteln.
Ein anderes Gebiet, auf dem sich wichtige Erkenntnisse über die Seele und ihre Haltung zum Schicksal gewinnen lassen, ist die suggestive Rückführung (Regression) in frühere Existenzabschnitte bzw. andere Daseinsebenen. Meist geht es dabei um Erfahrungen, die nach der Empfindung der Rückgeführten in vergangenen Leben gemacht wurden und nun therapeutisch aufgearbeitet werden, da sie einen negativen Einfluss auf das gegenwärtige Leben haben. Es wurde unter Therapeuten und Beobachtern viel darüber diskutiert, ob es sich bei den berichteten Stoffen um tatsächliche Erinnerungen aus früheren Leben handelt. Es gibt gute Argumente sowohl für als auch gegen die Realität der Reinkarnationserinnerungen. Reinkarnationstherapeuten nehmen dabei eine pragmatische Haltung ein. Entscheidend ist für sie, ob die Verarbeitung der wirklichen oder scheinbaren Erinnerungen zur Heilung der gegenwärtigen Probleme des Klienten beiträgt.
Soweit ich es von der Literatur und persönlichen Gesprächen beurteilen kann, sind fast alle Regressionstherapeuten von der Realität der Wiedergeburt überzeugt, halten allerdings einen Teil der konkret berichteten »Erinnerungen« für Phantasie-Konstrukte. Wenn auch die Möglichkeit des Phantasierens in den allermeisten Fällen nicht auszuschließen ist, so gibt es doch immer wieder Berichte, die die reale Erinnerung an ein früheres Leben als plausibelste Erklärung zwingend nahelegen. So werden gelegentlich z.B. historische Details geschildert, die weltweit nur wenige Spezialwissenschaftler kennen und erst nach mühsamer wissenschaftlicher Recherche verifiziert werden können. Der durchschnittlich gebildete Klient kann diese Informationen unmöglich irgendwo gelesen oder sonstwie aufgeschnappt haben.
Wir werden uns hier nicht weiter mit der Möglichkeit der Reinkarnation auseinandersetzen. Im Zusammenhang mit unserer Frage nach der freien Schicksalswahl vor dem Leben ist ein anderer Aspekt der Regressionsberichte hochinteressant. Es ist nicht nur möglich, Menschen in wirkliche oder vermeintliche frühere Leben zurückzuführen, sondern auch in den körperlosen Seelen- oder Energie-Zustand vor dem Leben – bzw. zwischen den Leben, falls man von aufeinanderfolgenden Inkarnationen ausgeht. Diese Existenzebene wird mangels geeigneter europäischer Begriffe von den Autoren heute meist mit dem tibetischen Wort Bardo bezeichnet. Im tibetischen Buddhismus kennt man umfangreiche Darstellungen dieses Jenseitsbereiches, vor allem im Bardo Thödol, dem sogenannten »Tibetischen Totenbuch«. Sterbenden und soeben Verstorbenen werden Texte aus dem Bardo Thödol vorgelesen, damit die Seele sich in dem neuen Daseinszustand sofort orientieren kann und nicht Sinnestäuschungen und den Dämonen ihrer eigenen Schwächen anheimfällt. So soll eine gute Wiedergeburt gewährleistet werden.
Die Bardo-Erlebnisse durch Trance-Regression können auf keinen Fall als Erfindungen der Phantasie abgetan werden. Sie bestätigen nämlich in allen wichtigen Teilen die körperlosen Todesnähe-Erlebnisse von klinisch kurzzeitig Toten und Wiederbelebten, die seit etwa 1970 zu Zigtausenden in aller Welt gesammelt wurden. Kenneth Ring, einer der Pioniere der Todesnähe-Forschung, beschreibt die typische Erfahrung vom Verlassen des Körpers:4
*Es beginnt mit einem Gefühl wunderbaren Friedens und Wohlbefindens, das sich im Weiteren zu überwältigender Freude und Glück steigert. Diese ekstatische Stimmung, deren Intensität allerdings von Fall zu Fall verschieden ist, bestimmt die emotionale Grundhaltung, egal welche spezifischen Charakteristika die einzelne Erfahrung dann entwickelt. In diesem Moment wird man sich bewusst, dass man weder Schmerzen noch sonst irgendwelche Körperempfindungen hat. Nichts rührt sich. Daraus schließt man wahrscheinlich, dass man entweder gerade stirbt oder bereits »gestorben« ist.
Dann hört man vielleicht ein flüchtiges, summendes Geräusch, eine Art leisen Wind, auf jeden Fall stellt man fest, dass man – von irgendeinem weit entfernten Punkt – von außen her auf seinen eigenen Körper blickt. Und man stellt weiter fest, dass man ganz deutlich hören und sehen kann, dass man sogar besser hören und sehen kann als je zuvor. Man nimmt wahr, was um einen herum vor sich geht, bekommt alles mit, während man als passiver, unbeteiligter Zuschauer daneben steht. All das erscheint einem sehr real – absolut natürlich, ganz und gar nicht wie ein Traum oder eine Halluzination. Man ist geistig hellwach und völlig klar im Kopf.
Irgendwann merkt man dann vielleicht, dass man sich im Zustand eines zweigeteilten Bewusstseins befindet. Während man die Szenerie ringsum weiterhin wahrnimmt, wird man sich zugleich einer »anderen Realität« bewusst, in die man sich hineingezogen fühlt. Man treibt – wie von selbst – auf eine dunkle Leere oder einen Tunnel zu und hat das Gefühl zu schweben. Zuerst fühlt man sich vielleicht ein bisschen einsam, aber auch hier herrscht eine außerordentlich friedliche und feierliche Stimmung. Alles ist ganz still, man ist sich lediglich seiner Gedanken und des schwebenden Gefühls bewusst. Ganz plötzlich spürt man etwas, ein Wesen, sieht aber nichts. Dieses Wesen, das manchmal spricht, manchmal aber auch »nur« Vorstellungen evoziert, veranlasst einen, das eigene bisherige Leben zu überdenken, und fordert einen auf zu entscheiden, ob man weiterleben oder sterben will. Diese Bestandsaufnahme wird manchmal dadurch erleichtert, dass Bilder aus der Vergangenheit wie ein Film vor dem inneren Auge ablaufen. Ansonsten nimmt man weder Zeit noch Raum wahr, und die Gedanken selbst haben keine Bedeutung. Man ist auch nicht länger eins mit seinem Körper, das heißt, man identifiziert sich nicht mehr über die Physis. Jetzt gibt es nur noch das Geistige; die Ratio erwägt – logisch und vernünftig – die Alternativen, die sich einem an der Schwelle vom Leben zum Tod bieten: Entweder noch weiter in diese Erfahrung vorzudringen oder ins irdische Leben zurückzukehren. Gewöhnlich beschließt man zurückzukehren, nicht etwa um seiner selbst willen, sondern wegen der anderen, die man liebt und die man mit dem Tod zurücklassen müsste. Nachdem man diese Entscheidung getroffen hat, findet die Erfahrung meist ein abruptes Ende.
Manchmal tritt diese Entscheidungskrise jedoch erst sehr viel später ein oder findet überhaupt nicht statt – dann wird die Nah-Todeserfahrung fortgesetzt. In diesem Fall schwebt man vielleicht weiter durch die dunkle Leere, auf ein strahlendes goldenes Licht zu, das Gefühle von Liebe, Wärme und absoluter Anerkennung vermittelt, oder man gelangt in eine »Welt des Lichts« von übernatürlicher Schönheit und trifft (vorübergehend) mit Verstorbenen zusammen, die man geliebt hat – bis man erfährt, dass die Zeit für einen selbst noch nicht gekommen ist und man ins Leben zurück muss.*
Mehrere Therapeuten bzw. Bewusstseinsforscher haben Berichte von Versuchspersonen veröffentlicht, die gezielt in den Bardo versetzt und befragt wurden.5 L.Whitton und M.Newton arbeiteten mit jeweils mehreren Dutzend Personen, deren Seelen-Biographien sie individuell und detailliert verfolgten, H.Wambach versetzte insgesamt 750 Personen per Gruppentrance in den Bardo und stellte diesen dann mehrere spezifische Fragen, die die Betreffenden nach der »Rückkehr« auf Fragebogen schriftlich beantworteten.
Helen Wambachs Fragen lauteten:6
- Haben Sie sich selbst dafür entschieden, geboren zu werden?
- Hilft Ihnen jemand bei der Wahl? Wenn Ihnen jemand hilft zu wählen, wie ist die Beziehung zu diesem Ratgeber?
- Wie fühlen Sie sich bei der Aussicht, das kommende Leben zu leben?
- Haben Sie einen Grund dafür, ausgerechnet die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu wählen, um die Erfahrung physischen Lebens zu machen? Was ist der Grund?
- Haben Sie Ihr Geschlecht für das kommende Leben gewählt? Wenn ja, warum haben Sie sich dafür entschieden, in diesem Leben als Mann oder als Frau zu erscheinen?
- Was ist der Grund, dass Sie in dieses, Ihr gegenwärtiges Leben kommen?
- Nun möchte ich, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre zukünftige Mutter richten. Haben Sie sie schon in einem vergangenen Leben gekannt? Wenn Sie sie schon kannten, wie war früher Ihre Beziehung zu ihr?
- Nun richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren künftigen Vater. Haben Sie ihn in einem vergangenen Leben gekannt? Und wenn ja, wie war früher Ihre Beziehung zu ihm?
- Können Sie nun, ehe Sie geboren werden, andere wahrnehmen, die Sie im kommenden Leben kennen werden? Haben Sie sie in einem vergangenen Leben gekannt? Wissen Sie, welche Rolle sie in Ihrem kommenden Leben spielen werden? Werden Sie sie als Geliebte oder als Ehepartner kennen? Werden Sie sie als Kinder oder andere Verwandte kennen? Werden Sie sie als Freunde kennen?
- Nun möchte ich, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den sich entwickelnden Fötus richten, der Sie sein werden. Erleben Sie sich im Fötus? Außerhalb des Fötus? Innen und außen? Ist Ihr Bewusstsein dabei völlig mit dem Fötus verbunden?
- Können sie das Verhalten und die Gefühle Ihrer Mutter kurz vor Ihrer Geburt wahrnehmen?
- Nun bewegen Sie sich den Geburtskanal hinab. Sie empfinden keine Schmerzen, aber Sie haben Empfindungen. Sie bewegen sich den Geburtskanal hinab: Was erleben Sie jetzt?
- Sie sind nun aus dem Geburtskanal ausgetreten. Sie sind geboren. Was empfinden Sie nun?
- Bemerken Sie etwas von dem Benehmen und den Gefühlen anderer, die nach Ihrer Geburt im Entbindungsraum anwesend sind?
Von den 750 Versuchspersonen Helen Wambachs entschieden sich 81 Prozent selbst für ihre Geburt, wenn auch nicht immer aus ganz freien Stücken. In vielen Fällen hatten sie Berater um sich, die ihnen mehr oder weniger zu ihrer Geburt rieten. Oft kam dann die »freie« Entscheidung als eine letztendliche Zustimmung in das »Vernünftige« oder gar Unvermeidliche. 67 Prozent gingen daher mit einigem Widerstreben in das neue Leben. Nur 28 Prozent sahen mit Freude ihrem neuen Leben entgegen. Die allermeisten hatten Berater um sich, empfanden diese jedoch im allgemeinen nicht als Autoritätspersonen, sondern eher als »Kollegen«, d.h. nahestehende Seelen auf gleicher Ebene. Bisweilen waren diese Berater auch Verwandte oder gute Freunde aus dem jetzigen Leben. Immerhin schien der Rat dieses Seelenkollegiums dennoch von solchem Gewicht, dass sich nur eine Minderheit der Befragten gegen ihn entschied oder ihn gar nicht abwartete.
Hier eine kleine Auswahl von positiv zustimmenden Antworten:
“Ich entschied mich dafür, geboren zu werden, und ich fühlte, dass man mir bei der Entscheidung half, weil ich die Arbeit meines letzten Lebens fortsetzen und korrigieren musste. Ich war darauf gespannt, dieses Leben zu erfahren.”
“Ja, ich entschied mich dafür, geboren zu werden, und es gab hilfreiche Energien um mich herum, aber ich traf die letztgültige Entscheidung. Ich hatte keinerlei Befürchtungen.”
“Ja, ich entschloss mich für das Geborenwerden, und viele berieten mich dabei. Ich war gespannt darauf, die zu sehen, die bereits vor mir gegangen waren.”
“Ja, ich entschied mich selbst dafür, geboren zu werden, und es gab noch andere, die mir Hinweise und Ratschläge übe die kommende Lebenszeit gaben. Ich fühlte mich bereit für das kommende Leben, aber ich wäre lieber in der anderen Energieform geblieben. Aber als ich in den Fötus einging, fühlte ich Freude darüber, geboren zu werden.”
“Ja, ich entschied mich dafür, geboren zu werden, und zwar voller Hoffnung, so, als habe ich darauf nur gewartet. Praktisch half mir niemand bei dem Entschluss, aber ich hatte das Gefühl, dass Hilfe verfügbar war, wenn ich sie brauchte. Ich hatte ich angenehmes Gefühl bei der Aussicht auf das kommende Leben, und die Worte »die Umstände sind günstig« schossen mir durch den Kopf.”
Etwa 3 Prozent entschieden sich zwar positiv, aber gegen ihre Berater oder ohne sie:
“Ja, ich beschloss, geboren zu werden, und es schien, als sei da niemand gewesen, der mir bei der Entscheidung half. Aber als Sie nach der Aussicht fragten, das kommende Leben zu leben, wurde mir klar, ich hätte vorsichtiger wählen und noch ein paar Jahre warten sollen.”
“Ja, ich entschied mich dafür, geboren zu werden, aber ich hatte es eilig und war mir auch meiner Entscheidung nicht sicher. Als Sie fragten, ob mir jemand bei der Entscheidung geholfen habe, bemerkte ich jemanden, ich bin nicht sicher, wen, der mich warnte, aber ich fühlte, dass ich etwas zu tun, zu erledigen hatte.”
“Ja, ich beschloss selbst, geboren zu werden. Als sie fragten, ob mir jemand bei der Entscheidung half, merkte ich, dass jemand mich zurückzuhalten versuchte. Sie warnten mich. Meine Gefühle hinsichtlich der Aussicht, geboren zu werden, gingen dahin, dass ich das heftige Verlangen spürte, zum »Spielen« hierher zu kommen. Doch nachdem ich geboren war, fühlte ich, dass es sehr hart war. Die Atmosphäre war rau hier unten auf der Erde. Ich hatte erwartet, spielen zu können, aber alles war ein Wirrwarr, und ich wünschte, ich wäre wieder zurück im Raum, wo alles Licht war.”
“Ja, ich entschied mich ganz klar dafür, geboren zu werden. Einige Wesen versuchten, mir Ratschläge zu geben, aber ich hörte nicht zu. Ich wartete ungeduldig darauf, etwas zu vollenden, das ich begonnen hatte.”
Die größte Zahl der Befragten (67%) willigte zwar in die Geburt ein, jedoch mit einem gewissen Widerstreben:
“Ja, ich entschied mich dafür, geboren zu werden. Ich sprach darüber mit einer Gruppe von Freunden. Meine Gefühle bei der Aussicht, in das gegenwärtige Leben zukommen, waren: »Nun ja, ich muss halt wieder einmal hinunter!«”
“Ja, es war eine schwierige Entscheidung. Da war eine Gruppe, die mir bei der Entscheidung half. Sie hörten zu, was ich vorhatte, und machten einige Vorschläge. Meine Empfindungen über das kommende Leben waren, dass ich nicht glücklich sein würde. Aber ich wusste, dass das, was ich jetzt tun musste, wichtig genug war, um meine Gefühle, nicht in eine physische Welt eingeschlossen sein zu wollen, beiseite zu schieben.”
“Ich war davon überzeugt, mit anderen zusammen, die ich kannte, geboren zu werden, um die liegengebliebenen Fäden meines unmittelbar zurückliegenden Lebens wieder aufzunehmen. Als sie nach der Hilfe bei meinem Entschluss fragten, bemerkte ich einige meiner alten Mentoren, drei von ihnen, aber ich konnte nur einen deutlich erkennen. Als Sie nach der Aussicht auf das kommende Leben fragten, hatte ich ein Gefühl der Öde und des Heimwehs nach dem Ort, den ich verließ (nicht auf der Erde), und ich beschloss, es diesmal ein für allemal richtig zu machen. Ich hatte das Gefühl, dass ich damit weitermachen wollte, wie es auch schien, als hätte ich mir für diese Zeit hier zu viele Einzelheiten zugemutet. Man hatte mir die Möglichkeit gegeben, aufzuhören, wenn ich es müde war, aber ich habe es bereits abgelehnt, um endlich fertig zu werden. Es scheint, als habe ich zwei Aufgaben zu vollenden, eine bereits hinter mir, eine noch vor mir.” – Diese Person war zwei Jahre vorher von einer lebensgefährlichen Krankheit genesen.
“Ja, ich entschloss mich dafür, geboren zu werden, Und jemand, der mir bei der Entscheidung half, war die Person, die zuerst auf den Leib optiert hatte, den ich haben sollte. Ich war recht unruhig bei der Aussicht, ein neues Leben zu leben. Es scheint, als sei ich nicht lange zuvor gestorben, und ich war sehr beunruhigt, wieder in einen Körper zu gelangen. Ich dachte, die Zeit und der Ort würden mir Gelegenheit geben, ein ganz anderes Leben zu führen als zuvor, wo ich eine ziemlich unangenehme Person war.”
“Ja, ich entschied mich dafür, geboren zu werden, aber es wurde nicht von mir geregelt, es war eher so, wie wenn ein Mann vom Reisebüro dir die Tour vorbereitet, die du dann machen kannst. Als Sie fragten, ob mir jemand bei der Entscheidung geholfen habe, sah ich zwei oder drei Freunde, und einer davon war so ein Zauberer-Typus. Meine Gefühle bei der Aussicht, geboren zu werden, waren etwa so, wie wenn man sich selbst zwingt, in ein Schwimmbecken zu springen. Wieder in den fleischlichen Zustand einzutreten, war ein ziemlich unappetitlicher Gedanke.”
“Als Sie danach fragten, ob es meine Entscheidung gewesen sei, geboren zu werden, schien es mir, als stünde ich in einer Reihe, die darauf wartete, geboren zu werden, und ginge dann aus der Reihe heraus. Ich bemerkte niemanden, der mir bei meiner Entscheidung half. Ich hatte viel Spaß und machte Scherze mit den anderen, die darauf warteten, geboren zu werden. Ich fühlte, dass ich die anderen, mit denen ich vor der Geburt zusammen war, nach der Geburt wiedersehen würde.”
“Ich entschied mich selbst dafür, geboren zu werden, und ich bemerkte niemanden, der mir bei der Entscheidung half. Ich fühlte, dass ich die Erfahrung der kommenden Lebenszeit brauchte, aber ich hatte ungute Vorahnungen hinsichtlich dessen, was vor mir lag.”
“Ja, ich entschied mich zögernd dafür, geboren zu werden. Ich hatte das Gefühl, als würde ich in einen weißen Raum gesteckt, auf eine Art Rutschbahn oder ein Sprungbrett. Es schien mir, als seien Führer in meiner Nähe, aber das war alles, was ich bemerkte. Ich hatte Angst und Furcht zu versagen, wenn ich an die kommende Lebenszeit dachte, aber mir wurde versprochen, dass ich Hilfe erwarten konnte.”
Ja, ich entschied mich dafür, geboren zu werden. Es schien, als habe niemand gesagt, dass ich zur Welt kommen müsse, obgleich da jemand war, der mir zu sagen schien, dass sie bereit seien, mir zu helfen, aber ich verlangte keine Hilfe. Ich hatte ambivalente Gefühle bei der Aussicht, die kommende Lebenszeit zu leben.”
19% der Befragten verneinten, dass sie sich für ihre Geburt entschieden hätten. Entweder fühlten sie sich dazu gezwungen oder sie konnten sich einfach nicht erinnern, eine Entscheidung getroffen zu haben:
“Nein, ich habe nicht entschieden, geboren zu werden. Da war jemand, der darauf bestand, dass es Zeit sei zurückzukehren. Ich fühlte viel Widerstreben dagegen, eine neue Lebenszeit zu durchleben, weil es auf der Wolke sehr angenehm war. Aber eine Stimme bestand darauf, dass ich zusätzliche Erfahrung benötigte.”
“Nein, ich wollte nicht geboren werden, und es schien, als hätte ich keine andere Wahl gehabt. Ich bemerkte niemanden, der mir bei der Entscheidung geholfen hätte. Meine Gefühle bei der Aussicht, dieses Leben zu leben, waren, dass ich diesmal geschlafen hatte, denn ich hätte ein Mann werden sollen.”
“Ich leistete viel Widerstand gegen den Gedanken, mich dafür zu entscheiden, geboren zu werden, aber ich weiß, dass ich diese Entscheidung selbst treffen musste. Meine Gefühle über die Aussicht, ein neues Leben zu leben, waren, dass dies wirklich eine Last sei. Das überrascht mich, weil ich das Leben doch so sehr liebe.”
“Nein, ich habe mich nicht dafür entschieden, geboren zu werden, und ich bemerkte auch keine anderen um mich herum. Ich wusste lediglich, dass ich nicht wieder zu leben wünschte, weil ich erst kurz zuvor gestorben war und noch Ruhe brauchte.”
Der Haupttenor dieser Äußerungen geht etwa dahin, dass die Existenz in der körperlosen Form angenehmer ist als die Verkörperung, dass aber ein gewisser einsehbarer Sachzwang zum Entschluss führt, geboren zu werden. Es ist am ehesten vergleichbar mit einer durchschnittlichen Berufstätigkeit. Man fühlt sich wohler, wenn man zuhause oder im Urlaub ist und kann sich dann richtig entspannen und seinen Neigungen besser nachgehen. Da man aber Geld verdienen muss und sich auch irgendwie gesellschaftlich nützlich machen will, muss man arbeiten gehen und versucht diese Tätigkeit so weit wie möglich den inneren Neigungen und Fähigkeiten anzupassen. Man macht das Beste aus dem Unvermeidlichen.
Interessant ist, dass viele der Befragten, die Art des neuen Lebens und deren Grundrichtung schon im Voraus wussten und akzeptiert haben, meist um etwas zu lernen. In vielen Fällen erinnerten sich die Versuchspersonen auch an konkretere vorgefasste Leitgedanken ihres jetzigen Lebens, im allgemeinen ethischer Art. Helen Wambach fasst dies so zusammen:7 “Die Gründe, aus denen sich die Menschen entschieden, eine Lebenszeit auf der Erde zu verbringen, bestanden im Grunde nicht darin, die eigenen Talente zu entwickeln. Stattdessen bestand der Zweck hauptsächlich darin, sich mit anderen in Beziehung zu setzen, zu lieben, ohne fordernd oder besitzergreifend zu sein. Es gab eine ansehnliche Gruppe – 28 Prozent – die das Gefühl hatte, ihre Rolle bestehe darin, die Menschheit zu lehren, die Einheit mit anderen zu verstehen und ein höheres Bewusstsein zu entwickeln. Meine Versuchspersonen waren nahezu alle der gleichen Meinung, wenn sie jeden Zweck ablehnten, der in wachsendem Reichtum, Status und Macht bestand. Ihre Antworten zeigen, dass auf einer unbewussten Ebene Moral das Grundgesetz des Universums ist. Aber offensichtlich wird diese Moral – dass wir die anderen behandeln sollen, wie wir selbst gerne behandelt werden möchten –, von der Reinkarnation »erzwungen«. Wir werden behandelt, wie wir andere behandelt haben; wir kommen zurück, um das Dasein sowohl auf der gebenden wie auf der empfangenden Seite zu erfahren. Sobald wir erst einmal gelernt haben, dass wir die Realitäten um uns selbst schaffen – gestützt auf unsere Erwartungen in diesem Leben und die Umstände, die wir gewählt haben, um Fehler wieder gutzumachen, die wir in früheren Leben begingen –, gibt es noch eine Lektion zu lernen. Wir alle sind Teil eines gewaltigen Seelen-Organismus – alle auf höheren Ebenen miteinander verbunden.”
Helen Wambach befragte ihre Versuchspersonen nicht nach Einzelheiten der nicht-materiellen Zwischenwelt. Eine solche Studie blieb als erstem dem kanadischen Psychiater Joel L.Whitton vorbehalten.8 Er führte systematisch mehr als dreißig Personen im Verlaufe von meist längeren Psychotherapien in den Bardo-Zustand und befragte sie nach detaillierten Vorgängen. Als Resümee stellt Dr. Whitton fest, dass viele Personen an einem regelrechten Lebensplan vor dem Leben gearbeitet hatten und dabei von mehreren Weisen beraten wurden.9 Diese Berater hatten unmittelbar davor als »Richter« fungiert, als die Seele Rückschau über ihr gerade verflossenes irdisches Leben gehalten hatte.
Vom »Lebensplan« ist die Rede und auch vom »karmischen Drehbuch«. Dies hört sich ganz nach Vorherbestimmung des Schicksals an. Allerdings wäre in diesem Fall nicht Gott der Vorbestimmende, sondern die Menschenseele selbst– unter Einbeziehung weiser Ratgeber. Etliche Versuchspersonen berichten aus ihrem tranceartigen Erinnerungszustand heraus von wichtigen Ereignissen und Schicksalsweichen, die sie entweder vorher mithilfe der Ratgeber selbst festgelegt hatten oder aber voraussahen und für gut befanden. Ein gut Teil davon, wenn nicht sogar die Mehrzahl sind sogar negativer Art, Krisen und Schicksalsschläge. Sie wurden freiwillig gewählt, um zu einer gewünschten »Umkehr«, zur Erfüllung einer »Mission« zum Erlernen einer Tugend zu führen. Die großen religiösen Traditionen würden hier gewiss von »Prüfungen« sprechen. Der neue Gesichtswinkel, den die Trance-Mitteilungen liefern, ist, daß die Seele selbst sich diese Prüfungen im Vorhinein in den Lebensweg legt bzw. im Voraus davon weiß. Sie werden nicht von Gott geschickt und sind auch keine Vergeltung für schlechtes Verhalten des gerade aktuellen Lebens. Weichenstellungen, Krisen und Schicksalsschläge der größeren Dimension beziehen sich nach diesen Aussagen immer auf die Essenz der vergangenen Leben, verfolgen also eine meta-biographische Absicht.
Ein wenig unheimlich ist einem schon zumute, wenn die Informanten von Vorhergewusstem und selbst Vorherbestimmtem Mitteilung machen:
“Nach meinem Plan sollte ich mich für ein tragisches Ereignis entscheiden, das mich veranlassen würde, nach Erreichen des dreißigsten Lebensjahres meine ganze seelische Haltung zu ändern. Während ich mich intensiv mit diesem Ereignis beschäftigte, würde ich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen, meinem leben einen tieferen Sinn zu geben. Genau das ist geschehen.” – Es handelt sich um eine Frau, die zu dem angeblich vorausbestimmten Zeitpunkt vergewaltigt wurde. Die Art des Schicksalsschlages war offenbar jedoch nicht festgelegt.
“…eine Art Uhrwerk, in das bestimmte Einzelteile eingebaut werden konnten, um gewisse Folgeerscheinungen auszulösen. Ich hatte das Empfinden, an etwas zu arbeiten, das ich verändern wollte. Und ich setzte diese Veränderungen dadurch in Gang, dass ich mit dieser Maschine arbeitete und in dem im körperlosen Zustand gefassten Plan die notwendigen Umstellungen vornahm, um sie in meinem künftigen Leben auf der Erde wirken zu lassen.”
“Man hilft mir dabei, das nächste Leben so vorzubereiten, dass ich mit allen Schwierigkeiten, die mir begegnen können, fertig werden kann. Ich möchte nicht die Verantwortung übernehmen, denn ich habe das Gefühl, dafür nicht stark genug zu sein. Aber ich weiß, wir müssen auf Hindernisse stoßen, um diese Hindernisse zu überwinden – um stärker, wachsamer, verantwortungsbewusster zu werden und uns weiterentwickeln zu können.”
“Ich entschied mich für meine Mutter, obwohl ich wusste, dass in ihrer Familie die Alzheimersche Krankheit sehr verbreitet war und ich höchstwahrscheinlich auch unter dieser Krankheit leiden würde. Aber meine karmischen Bindungen zu meiner Mutter waren sehr viel wichtiger als jede erbliche Belastung. Es gab noch einen anderen Grund dafür, dass ich mich für diese Mutter entschied. Die Richter sagten mir, ich müsse in dem künftigen Leben die Erfahrung machen, ohne einen Vater aufzuwachsen, und ich wusste im Voraus, dass sich meine Eltern schon bald scheiden lassen würden. Ich wusste auch, dass ich mich mit der Auswahl meiner Eltern für ein Leben in einer Gegend entschied, wo ich dem Mann begegnen würde, der mir als Ehemann vorausbestimmt war.”
Der letzte Fall deutet darauf hin, dass sogar eine spätere körperliche Behinderung in Kauf genommen wird, wenn andere wichtiger erscheinende Gründe für eine bestimmte Schicksalsbahn sprechen. Diese Aussagen klingen recht deterministisch, und man ist vielleicht versucht, daraus die umgekehrte Methode abzuleiten, in der regressiven Trance »vorausbestimmtes« Schicksal zu erkennen zu wollen, d.h. einen Blick in die eigene Zukunft zu werfen. Im allgemeinen gelingt dies jedoch nicht, denn die Seelen haben ihre tiefen Gründe für die großen eingeplanten Wegmarken und Prüfungen und verhindern deshalb, dass ihnen ins Konzept gepfuscht wird bzw. dass sie sich selbst im Tagesbewusstsein aufgrund oberflächlicher Motivationen um solche Entwicklungschancen bringen. Wenn diese Gefahr besteht, weigern sich entweder die Betreffenden in der Trance Aussagen über bevorstehende persönliche Ereignisse zu machen oder sie vergessen solche Erkenntnisse sofort mit der Rückkehr in den Wachzustand, ja, sie bitten sogar den Hypno-Therapeuten darum: “Bitte sorgen Sie dafür, dass ich mich beim Aufwachen nicht mehr daran erinnere. Ich könnte sonst versucht sein, mein Karma zu manipulieren.”10
Andererseits scheinen die Lebenswege doch nicht allzu festgelegt zu sein. Es ist den Inkarnierten offenbar möglich, mehrere Optionen wahrzunehmen bzw. schnellere oder langsamere Fortschritte in Bezug auf ihre jeweiligen Lektionen zu machen. Ein junger Mann hatte eine völlig ablehnende Haltung gegenüber seinem Vater, der ihm viel Leid zugefügt hatte. Er besuchte diesen nach langer Zeit in einem Pflegeheim. Der Zustand des Vaters war so schlecht, dass er an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen war. Obendrein war im Moment des Besuches ein Anschluss am Gerät abgerissen, so dass dem Vater der Tod drohte. Der junge Mann stand jetzt vor der Wahl, den ungeliebten Vater diskret sterben zu lassen oder schnell vom Personal Hilfe anzufordern. Nach kurzem Ringen entschied er sich für die Rettung. Einige Jahre später hatte er einen gefährlichen Unfall mit dem Fahrrad. Er wurde von einem Lastwagen angefahren, kam jedoch den Umständen entsprechend glimpflich mit einem Beinbruch davon. Viele Jahre danach erfuhr er während einer Trance-Rückführung ins Bardo, dass zwischen beiden Ereignissen ein Zusammenhang bestand:11
“Mein karmisches Drehbuch sagte unmissverständlich aus, dass der Vorfall, bei dem es um das Leben meines Vaters ging, eine sehr wichtige Prüfung war, die ich mir selbst verordnet hatte. Wenn ich ihm seine Verfehlungen vergeben konnte, deren er sich – augenscheinlich über mehrere Inkarnationen – mir gegenüber schuldig gemacht hatte, dann würde ich bei dem Unfall mit dem Fahrrad nicht getötet werden. Nach dem Plan musste ich damit rechnen, dass ich meinen Vater sterben lassen würde, wenn es mir nicht gelang, meine Haltung ihm gegenüber zu ändern. Aber ich bestand die Prüfung, und nach meinem entsprach der weitere Verlauf meines Lebens nicht mehr dem vorher entworfenen Plan. Ich wusste jetzt, dass die für künftige Leben konzipierten Pläne nur Entwürfe sein können, die nicht unbedingt befolgt werden müssen.”
Gewiss ist es auch möglich, ohne einen Plan zu kommen. Eine kleine Zahl der von Helen Wambach Befragten gab ja z.B. an – wie wir oben sahen –, keinem Rat bezüglich der Geburt gefolgt zu sein. Manche konnten es auch gar nicht erwarten, schnell wieder auf der Erde zu erscheinen. Aus Dr. Whittons detaillierten Befragungen ergibt sich interessanterweise, dass es ein Nachteil ist, ohne Ziele ins Leben zu treten:
[Z]12 *Zwar hat die Seele die Freiheit, die Empfehlungen ihrer Richter für die Planung des künftigen Lebens zurückzuweisen, aber das kann unangenehme Folgen haben. Die Zurückweisung solcher Empfehlungen führt dazu, dass die Reinkarnation ohne einen Plan stattfindet, auf den man sich geeinigt hat, und die Folge kann ein unproduktives Leben sein, in dem es zu unnötigen Prüfungen und Schwierigkeiten kommt. Ohne einen Plan wiedergeboren zu werden liegt auch in der Entscheidung des Einzelnen. Das Schlimme ist, dass die Seele, die über kein Drehbuch verfügt, dem sie folgen könnte, zu einem Rohr im Winde wird, zum Opfer und nicht zur Gestalterin ihres Schicksals. Wenn man dem Rat der drei [Weisen, Richter] nicht folgen will, wird man dafür zwar nicht bestraft, wird aber wahrscheinlich nach einem vergeudeten Leben tiefe Reue empfinden.
Gelegentlich hat eine Versuchsperson in der Trance erfahren, dass sie es in der Zeit zwischen Tod und Wiedergeburt versäumt hat, Pläne für ihr künftiges Leben zu machen. Das löste im allgemeinen Furcht und Unsicherheit aus und kam in den Mitteilungen an Dr. Whitton deutlich zum Ausdruck. Wer sich dagegen an ein karmisches Drehbuch halten konnte, reagierte im allgemeinen auch dann durchaus gelassen, wenn er von einem Plan sprach, der für das nächste Leben Leiden und Schwierigkeiten vorsah. Augenscheinlich gab es nichts Schlimmeres als eine unbestimmte Zukunft.*
[Z]13 *Ist es nun möglich, schon im Lauf des Lebens zu sagen, ob wir den in der Zeit zwischen Tod und Wiedergeburt gefassten Vorsätzen treu geblieben sind? Die Antwort muss aus unserem Innersten kommen. Wer sein Leben so einrichtet, wie es sein karmisches Drehbuch verlangt, oder sogar über die dort ausgesprochenen Erwartungen hinausgeht, hat das sichere Gefühl, dass sich sein Leben so entwickelt, wie es das sollte. Wer von seinem Entwurf abweicht, hat dagegen die Empfindung, dass alles außer Kontrolle geraten ist. Das Leben wird zum Chaos. Wie ein Schauspieler, der seinen Text vergessen hat, wenn er die Bühne betritt, sieht er sich gezwungen, zu improvisieren, während die Handlung, in deren Rahmen er seine Rolle zu spielen hat, weitergeht.*
Wenn wir die Bardo-Schilderungen in Trance für bare Münze nehmen wollten, wäre das Schicksal dann selbst gewählt und vorherbestimmt oder nicht? Die Antwort wäre ein klares »Ja und Nein«. Die Grundrichtung und der Rahmen sind selbst vorhergesehen und gewählt – im Einklang mit den ethischen Lernerfordernissen der Seele. Auch wichtige Personen, zu denen man im neuen Leben in Beziehung stehen wird, sind bereits im Voraus bzw. aus früheren Leben bekannt. Die Zeitpunkte, an denen etwas für die Seele Wichtiges geschehen wird, liegen ebenfalls fest. Was sich aber konkret und im Einzelnen ereignen wird, welche Entscheidungen die Seele an den kritischen Punkten fällen wird, dies steht nicht fest. Es gibt gewisse Wahrscheinlichkeiten, mehr aber nicht. So etwa ist die subjektive Sicht der in Trance befragten Personen, und es ist allein diese subjektive Wahrnehmungsweise, die uns hier beschäftigt. Wir werden an dieser Stelle nicht der rein abstrakt-philosophischen Frage nachgehen, ob nicht vielleicht doch jede Einzelheit des Schicksals, also auch die angeblich freien Entscheidungen, vorbestimmt sind.
Interessanterweise deckt sich diese subjektive Sicht sehr deutlich mit der Anschauung der modernen westlichen Astrologen. Sie sind nicht mehr wie ihre historischen Vorgänger der Auffassung, dass sich Ereignisse und Lebenswege konkret und detailliert vorhersagen lassen. Der Schwerpunkt heutiger Horoskopdeutung liegt in der Erstellung von Persönlichkeitsprofilen, dem Aufzeigen von Veranlagungen und Charakterzügen. Daraus werden nicht nur pragmatische Befähigungen des Horoskop-Inhabers erschlossen – z.B. für Beruf oder Partnerschaft –, sondern auch seine ethischen Lebensaufgaben.
Wenngleich die Vorhersage von konkreten Lebensereignissen in der modernen Astrologie in Misskredit geraten ist und deren Möglichkeit überhaupt verneint wird,14 so wird dennoch eine »unscharfe« Form der Prognose allgemein praktiziert. Astrologen berechnen Lebenszyklen, Entwicklungsrhythmen, Jahresthemen u.a. mit relativ genauen Ereigniszeitpunkten und Höhepunkten. Sie können mit hoher Treffsichersicherheit voraussagen, welches Lebensthema – z.B. Beruf, Geld, Partnerschaft, Kinder, Gesundheit oder Wohnung – in welchem Jahr und Monat für eine Person von großer Bedeutung werden wird, und ob es sich dann um eine harmonische oder konfliktreiche Auseinandersetzung mit diesem Thema handeln wird. Der erfahrene Astrologe kann also Thema, Zeitpunkt und Zeitqualität genau prognostizieren, nicht jedoch, welche konkrete Form das Lebensthema annehmen wird und wie sich der Klient dann konkret verhalten und entscheiden wird. Hier liegt eine klare Übereinstimmung mit den Trance-Vorhersagen aus dem Bardo-Zustand vor. Letztere machen auch sichere Aussagen über Thema und Zeitpunkt, ja, sogar auch über die darin verwickelten konkreten Personen – die im allgemeinen auch aus früheren Existenzen bekannt sind –, lassen dem Protagonisten aber die Freiheit der konkreten Entscheidung. Weder aus dem Horoskop noch aus der Bardo-Betrachtung ist vorhersehbar, wie sich der Betreffende entscheiden und entwickeln wird. Lediglich die Zeitpunkte und Themen der »Prüfungen« sind festgelegt. Es ist wie in der Schule: man weiß, wann eine Klassenarbeit in Deutsch, Fremdsprache, Mathematik, Physik usw. geschrieben wird, kennt aber nicht den konkreten Inhalt. Man weiß natürlich auch, welches Fach einem leicht oder schwer fällt und wie gut man dafür gelernt hat. Deshalb wird das irdische Leben in der esoterischen Literatur oft auch als »Schule« oder »Klassenzimmer« bezeichnet.
Es lässt sich aus dem Horoskop nicht ablesen, wie hoch entwickelt der Inhaber ist, auf welchem ethischen oder spirituellen Niveau er steht. Bedeutende vorbildhafte Persönlichkeiten wie Goethe, Gandhi oder Albert Schweitzer haben »problematische« Horoskop-Konstellationen gehabt. Das Horoskop sagt letztendlich nur, an welchen ethischen Themen der Betreffende zu arbeiten hat. Auch lässt sich daraus nicht erkennen, ob einer berühmt oder reich wird oder ist. Ruhm, Reichtum, Glück in der Liebe etc. sind keine Ziele der Religion, der ernstgemeinten astrologischen Arbeit und der Bardo-Überlegungen. Aus der Sicht des Bardo erscheinen solche irdischen Ziele derart banal, dass sich keine Seele für sie interessiert. Ansonsten müsste es im Bardo einen regelrechten Andrang nach einem Leben mit Reichtum, Ruhm und Glück bei den Frauen bzw. Männern geben. Davon wird aber nie berichtet. Es geht ausschließlich darum, welches Leben geeignet ist, ethische Schwächen zu überwinden und göttliche Qualitäten wie Seelenliebe und Weisheit zu verwirklichen.
J.L.Whitton berichtet vom Fall einer einfachen Angestellten,15 die sich ins Bardo zurückführen ließ, um ihr Lebensskript zu erfahren, d.h. die vor der Geburt gesetzten Ziele und Weichenstellungen. Sie litt unter emotionalen Problemen und Minderwertigkeitskomplexen und erhoffte sich von der Rückführung zum Lebensplan eine Bestätigung dafür, dass für sie eine große Zukunft vorgesehen sei. Als sie erfuhr, dass ihr Lebensziel »nur« darin bestehe, mit den emotionalen Schwierigkeiten fertigzuwerden, die sie im Umgang mit Menschen hat, erlitt sie eine herbe Enttäuschung. Sie wurde dadurch so depressiv, dass sie medikamentös behandelt werden musste.
An diesem Beispiel wird deutlich, dass es beim Thema »Lebensziele« um zwei völlig verschiedene Kategorien geht, die oft durcheinander gebracht werden. In der Religion, in den Bardo-Mitteilungen und in der esoterischen Astrologie ist ausschließlich von metabiografischen, d.h. dem irdischen Einzelleben übergeordneten Zielen die Rede. Dafür spielt es zunächst einmal keine Rolle, ob jemand reich, schön, berühmt, gesund, mächtig etc. ist. Das Verhältnis der spirituellen Ebene zu den »weltlichen« Lebenszielen ist im Prinzip neutral. Es wird jedoch negativ, wenn die weltlichen Errungenschaften und das Streben nach ihnen zu Hindernissen in der ethisch-spirituellen Verwirklichung werden. Dies ist zwar leider meist der Fall, doch nicht zwangsläufig. Es gibt immer wieder Individuen, denen es gelingt, beide Seiten zusammenzuhalten bzw. auseinanderzuhalten.
Der deprimierten Klientin von Dr. Whitton müsste man sagen, dass über ihren weltlichen Erfolg gar nichts Endgültiges in ihrem Lebensskript steht, dass dieser vielmehr innerhalb ihres in der Präexistenz selbst gewählten natürlichen Lebensrahmens stets machbar ist, eben mit den allseits bekannten weltlichen Mitteln (Ausbildung, Fleiß, Intelligenz, Beziehungen, Charme usw.). Es ist aber für ihr Seelenheil16 ratsam, wenn sie bei allem »weltlichen« Streben niemals ihre ethisch-spirituellen Lebensziele außer Acht lässt. Für sein Seelenheil muss der Mensch im Ernstfall das weltliche Streben dem spirituellen unterordnen. Es erfordert viel Geschick, Weisheit und Wunschlosigkeit, weltlichen Erfolg zu bekommen ohne mit der Seele dafür zahlen zu müssen. In diesem Sinne gefährliche Gratwanderungen sind daher Praktiken wie Magie und das sogenannte »positive Denken«. Dämonisch wird es gar, wenn dabei weltlicher Erfolg als Widerspiegelung einer vermeintlich hohen geistigen Stufe erklärt wird, wie es in der weltlich missbrauchten Esoterik bisweilen geschieht. In Zweifelsfällen ist es besser, einen Schritt in Richtung Ethik der Wunschlosigkeit und meditativer Spiritualität zurückzutreten und kleinere weltliche Nachteile in Kauf zu nehmen.
Eine methodische Schwäche bezüglich der Erforschung von Bardo-Zuständen ist freilich zuzugeben. Alle zitierten Studien werten ausschließlich Berichte von westlichen Menschen aus. Größere Überzeugungskraft würden sie sicherlich gewinnen, wenn zukünftige Studien mit Versuchspersonen aus anderen Kulturkreisen zu ähnlichen Ergebnissen kämen. Was Nahtod-Erlebnisse betrifft, so gibt es Vergleichsmaterial aus Indien und Japan,17 das einige der bisher für typisch gehaltenen Bestandteile als kulturbedingt erscheinen lässt, wenn auch nicht die Kernerfahrungen. Der Hinweis auf die mögliche Kulturbedingtheit gilt freilich auch für die Anschauungen aller anderen Psychotherapien (z.B. von Freud und Jung), ja für jegliche Weltanschauung.
Als starkes Argument für die globale Gültigkeit von Grundmustern der Bardo-Berichte wäre immerhin anzuführen, dass diese ja schon als solche vollständig der allgemeinverbreiteten westlichen Weltanschauung widersprechen – und zwar sowohl der materialistischen als auch der jüdisch-christlichen –, dass eher eine Affinität zu hinduistischen und buddhistischen Vorstellungen gegeben ist. Noch mehr Gewicht erhält dieses Argument durch die große Zahl von Trance-Informanten, die nach den Angaben der Forscher sich vorher nie mit fernöstlichen Ideen beschäftigt haben und dennoch prinzipiell sehr ähnliche Schilderungen abgibt.
Resümee für Zweifler
Wir wollen hier einen kleinsten gemeinsamen spirituellen Nenner erschließen, der uns die oben erörterten Erkenntnisse von Nutzen sein lässt, auch wenn wir Zweifel an der Realität der dargestellten Dimensionen haben. Wir wollen daher einmal annehmen, dass die obigen Schilderungen aus dem Trance-Zustand über vergangene Leben und die Bardo-Zwischenexistenz »Phantasien« seien. Welche brauchbaren und verlässlichen Anhaltspunkte blieben uns dann noch?
1. Der durch suggestive Rückführung erreichte Zustand, in dem der Praktizierende sich als körperlose Seele empfindet und der hier als Bardo bezeichnet wurde, ist theoretisch für jeden Menschen erfahrbar. Er ist eine Anlage, die weder kultur- noch glaubensabhängig ist. Es gibt genügend Zeugnisse von Mystikern aller Kulturen, die diesen Zustand erfahren haben. Die Seelenreisen der Schamanen und die sogenannten Astral-Projektionen von Okkultisten sind eng damit verwandt. Das Erlebnis des freien Schwebens ohne physischen Körper ist einer der ersten Vorgänge des Sterbens, wie aus Tausenden von protokollierten Nahtod-Erfahrungen zweifelsfrei hervorgeht. Diese werden auch von wiederbelebten Leuten geschildert, die vorher ungläubig, areligiös und materialistisch eingestellt waren. Wenn es vermutlich nach Melvin Morse auch eine lokalisierbare »Schaltstelle der Mystik« im Gehirn gibt,18 über die diese Prozesse auf der körperlichen Ebene eingeleitet werden, so ist die Erfahrung selbst unabhängig vom Körper. Dies beweisen die vielen außersinnlichen und Grenzen überschreitenden Wahrnehmungen der Schwebenden. Sie hören und sehen Dinge – korrekt, wie nachträglich festgestellt wurde –, die sich weit außerhalb der Reichweite ihrer Körpersinne befinden, z.B. während sie im Operationssaal im Koma liegen.
2. Die Körperlosen sehen sich und das Leben im doppelten Sinne »aus der Vogelperspektive«. Sie schweben nicht nur nach oben, sondern berichten auch von einer völligen seelischen Losgelöstheit. Die Last eines harten Lebens ist plötzlich von ihnen gefallen. Man wird einräumen müssen, dass dies eine ideale Ausgangsposition ist, die eigene Biografie im wahrsten Sinne des Wortes »distanziert«, d.h. vorurteilslos zu betrachten.
- Siehe Gerhard Voß Christliche Astrologie, 21990. Nach Auffassung von Voß ist Astrologie bei dieser Fragestellung mit dem christlichen Glauben vereinbar, d.h. bei Anerkennung Gottes als Schöpfer der Seele und Determinator ihrer Rahmenbedingungen einerseits und bei Negierung von Präexistenz, Reinkarnation und Karma-Gesetz andererseits. Der Glaube an letztere ist unter modernen Astrologen allgemein verbreitet. [↩]
- Nach diversen Umfragen seit 1980 glauben ca. 20 bis 25% der westlichen Erwachsenen an die Reinkarnation. [↩]
- Siehe Thomas Ring, Alfons Rosenberg, Christoph Schubert-Weller, Gerhard Voß, Siegfried Böhringer [↩]
- Kenneth Ring Den Tod erfahren – das Leben gewinnen, 1985, S.30f. Ring beschreibt hier die idealisierte »vollständige« Erfahrung, die Essenz vieler Einzelberichte. Eine ausführlichere Darstellung anhand von individuellen Schilderungen findet sich bei Raymond A.Moody Leben nach dem Tod, 1977, S.40ff. [↩]
- Helen Wambach Leben vor dem Leben, 1980; Joel L.Whitton & Joe Fisher Das Leben zwischen den Leben, 1989; Michael Newton Die Reisen der Seele, 1996 [↩]
- H.Wambach Leben vor dem Leben, S.21ff. [↩]
- H.Wambach Leben vor dem Leben, S.92f. [↩]
- Joel L.Whitton & Joe Fisher Das Leben zwischen dem Leben. Ein Forschungsbericht aus der Welt jenseits unserer physischen Existenz, 1989 (am. Original 1986) [↩]
- Siehe insbesondere den Abschnitt “Pläne für das nächste Leben” in J.L.Whitton & J.Fisher 1989, S.63-72 [↩]
- J.L.Whitton & J.Fisher 1989, S.87 [↩]
- J.L.Whitton & J.Fisher 1989, S.68f. [↩]
- J.L.Whitton & J.Fisher 1989, S.72 [↩]
- J.L.Whitton & J.Fisher 1989, S.71 [↩]
- Es soll nicht bestritten werden, dass konkret und detailliert richtige Vorhersagen möglich sind – jedenfalls als Gelegenheitstreffer –, ob von Astrologen oder anderen Mantik-Experten. Diese sind jedoch nicht der astrologischen oder sonstigen mantischen Methode zu verdanken, sondern vielmehr der zusätzlichen Fähigkeit des »Hellsehens«. [↩]
- J.L.Whitton & J.Fisher 1989, S.67 [↩]
- »Seelenheil« ist hier nicht im traditionell christlichen Sinne als Gegensatz zur »ewigen Verdammnis« gemeint. Aus der Sicht der Bardo-Philosophie erhält die Seele nach einem verfehlten Leben eine erneute Chance. Dennoch ist ein rein weltlich oder materialistisch ausgerichtetes Leben im besten Fall eine Vergeudung, im schlimmsten ein Unheil mit negativen Auswirkungen über mehrere weitere Inkarnationen. [↩]
- Siehe: Harald Wiesendanger Die Jagd nach PSI, 1989, Abschnitt “Inder sterben anders” (S.159-164, Quellenangaben S.305); Melvin Morse & Paul Perry Verwandelt vom Licht. Über die transformierende Wirkung von Nah-Todeserfahrungen, 1994, S.182f. Die indischen Fälle sind nur wenig mehr als ein Dutzend und wissenschaftlich mangelhaft recherchiert. Bei Morse & Perry ist von »400 Nah-Todeserfahrungen in Japan« die Rede, leider fehlt hier – zumindest in der deutschen Ausgabe – die Quellenangabe. [↩]
- Melvin Morse & Paul Perry Verwandelt vom Licht. Über die transformierende Wirkung von Nah-Todeserfahrungen, 1994, S.279f.; ausführlich in den Kapiteln 6-8 (S. 185-313) [↩]