Die Synchronizität

Grenzgebiete, Natur+Wissenschaft, Psychologie.

Der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung (1875-1961) war einer der ersten, der sich wissenschaftlich mit dem Thema der unwahrscheinlichen Zufälle im Menschenleben befasste. Er prägte dafür den Ausdruck »Synchronizitäten«. Seine grundlegende Abhandlung darüber erschien 1952 und trägt den Titel Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge.1 Bis heute ist diese Schrift fruchtbar und einflussreich für die Psychologie und manche esoterische Disziplinen geblieben. Bei letzteren handelt es sich um mantische d.h. orakelnde Wege, was auf der Hand liegt, da ja Jung selbst seinen Synchronizitätsbegriff in der Auseinandersetzung mit dem chinesischen I Ging-Orakel und der Astrologie gewonnen hat. Doch auch theoretische Physiker, wie der mit Jung befreundete Nobelpreisträger Wolfgang Pauli und in heutiger Zeit David Peat,2 bezogen von Jungs Synchronizitätsbegriff starke Anregungen zur Entwicklung eines um die subjektive Dimension erweiterten ganzheitlichen Weltbildes.

Wie innen, so außen

Bei »Synchronizitäten« handelt es sich um mindestens zwei ungefähr gleichzeitige Ereignisse, die parallel im Geist und in der Außenwelt ablaufen und eine ähnliche Bedeutung, einen gemeinsamen Sinn haben. Der Sinn muss freilich erst von der betroffenen Person gedeutet werden, er steht nicht »objektiv« fest. Eine Synchronizität würde sich z.B. ereignen, wenn jemand überlegt, ob er sich von einem Menschen trennen soll, und genau in diesem Moment zerbricht ein auf dem Tisch stehender Teller.3 Dies kann in mehrfacher Weise als eine Art Omen gedeutet werden:

  • Der zerbrochene Teller spiegelt die bereits real oder unbewusst zerbrochene Beziehung wider. Etwas ist bereits geschehen und wird als richtig akzeptiert.
  • Das Ereignis bestätigt, dass eine Trennung, ein Bruch die richtige Lösung ist. Etwas sollte geschehen.
  • Der Bruch ist zwar ein bereits geschehenes Ereignis, wenn vielleicht auch noch nicht bewusst, dennoch ist die Bewertung noch in einem inneren Prozess zu leisten. Möglicherweise findet der Betroffene, dass eine erneute Verbindung die richtige Lösung ist, wenn auch unter neuen Voraussetzungen.

Eindeutige, »objektive« Antworten werden von synchronistischen Ereignissen oder bedeutsamen Zufällen nicht gegeben. Subjektiv können sie freilich eindeutig sein, d.h. der Betroffene mag instinktiv spüren, was ihm damit gesagt wird. Nicht selten ist man aber auch unsensibel, ja blind gegenüber solchen Hinweisen. Manchmal können gute Freunde besser erkennen, um welches Thema oder Anliegen es bei einem geht. Jungsche Psychologen oder Omendeuter sind in der Regel ebenfalls geübt, markante Ereignisse in Beziehung zum Seelenleben der erlebenden Person zu setzen und daraus konstruktive Handlungsorientierungen abzuleiten. Im Prinzip verläuft die Ereignisdeutung wie eine Traumdeutung. Da Träume in der Regel ohne willentliche Einwirkung entstehen und ablaufen, gelten sie als unverfälschte symbolische Widerspiegelung des Seelenlebens. Auch beeindruckende Zufälle ereignen sich ohne willentliche Einwirkung – sonst wären sie ja keine Zufälle.

Auf analoge Weise können die Jungsche Psychoanalyse und die esoterische Omen­deutung äußere Erlebnisse von Menschen interpretieren. Nach Auffassung dieser Disziplinen besteht ein unverbrüchlicher Zusammenhang zwischen dem Seelenleben und dem Schicksal eines Menschen. Dies ist sicher auch der Hauptgrund, warum einige wesentliche Grundgedanken C.G.Jungs so stark von der modernen Esoterik rezipiert werden. Der vielleicht bekannteste Grundsatz der Tabula Smaragdina, eines mittelalterlichen oder noch früheren esoterischen Dokumentes, lautet: »Wie oben, so unten«. Vorgänge, die sich in höheren Sphären, etwa der Sternenwelt, abspielen, finden ihre Widerspiegelung – oder korrekter: Parallele – in niederen Sphären, etwa den irdischen Ereignissen. Die gesamte Astrologie beruht auf diesem Gedanken. Leicht abgewandelt, doch mit grundsätzlich gleicher Bedeutung, lautet die moderne Version: »Wie innen, so außen«.

Die Emotion zählt

Ein wichtiges Kriterium für ein Synchronizitätsereignis ist der emotionale Eindruck, den es bei uns hinterlässt. Gewohnte und erwartete Ereignisse gehören daher nicht in diese Rubrik. Synchronizitäten lassen uns zumindest erstaunen, manchmal auch erschrecken, gelegentlich auch lachen. Für die Psychoanalyse ist jedes Ereignis, jedes Wort, jedes Symbol, jeder Gedanke, der uns innerlich aufwühlt und in Emotionen versetzt – ganz gleich ob in positive oder negative – von großer Bedeutung und Aussagekraft über unser Seelenleben, unsere ureigene Identität. Was uns anzieht und abstößt, formt unser Schicksal. Dinge, die uns gleichgültig sind, kalt lassen, bilden gewissermaßen das träge und uninteressante Knetmaterial unseres Lebens.

Gesetzmäßigkeiten der sinnvollen Zufälle

Für das Auftreten von sinnvollen Zufällen hat die Psychologin Elisabeth Mardorf eine Reihe von Kriterien aufgestellt:4

  1. Wir können einen sinnvollen Zufall nicht selbst verursachen. Er kommt unvorhersehbar. Ein sinnvoller Zufall lässt sich nicht planen, weder in seinem Zeitpunkt noch in seinem Inhalt, noch im Hinblick auf die beteiligten Personen. Er kommt »aus heiterem Himmel«, hat also immer etwas Überraschendes. Wir können uns zwar grundsätzlich innerlich darauf einstellen, dass uns in unserem Leben sinnvolle Zufälle begegnen können. Auf eine konkrete synchronistische Situation sind wir aber nie vorbereitet.

  2. Ein sinnvoller Zufall hinterlässt einen tiefen emotionalen Eindruck auf uns. Carl Gustav Jung und Marie-Luise von Franz sprechen hier vom »Numinosum«. Es kann sein, dass wir uns tief verbunden fühlen, angerührt von dem kaum zu glaubenden Erlebnis, es kann sein, dass wir ein »Aha-Erlebnis« haben, dass wir »wie vom Blitz getroffen sind«. Es kann auch sein, dass uns unheimlich wird, insbesondere bei negativ gefärbten synchronistischen Erlebnissen.

  3. Ein sinnvoller Zufall hat eine symbolische Bedeutung. Er spricht eine symbolische Sprache wie ein Traum und kann ähnlich entschlüsselt werden. Diese Entschlüsselung ist jedoch nur möglich bei genauer Kenntnis und Analyse möglichst vieler umgebender Faktoren. Das lateinische Wort »numen«, von dem »Numinosum« abgeleitet ist, bedeutet »Wink«. Ein sinnvoller Zufall kann also als »Wink des Schicksals« gedeutet werden.

  4. Ein sinnvoller Zufall ereignet sich oft an einem Punkt des Übergangs im Leben. Dies können sowohl äußere Veränderungen sein als auch innere Entwicklungen. Sehr häufig, aber auf keinen Fall ausschließlich, treten synchronistische Phänomene um Veränderungen wie Geburt, Heirat, Tod, Ortswechsel, Berufswechsel, Trennung auf. Es kann auch durchaus vorkommen, dass sie auftauchen, wenn noch keine Veränderung stattgefunden hat, diese aber dringend notwendig wäre. So können sie aufmerksam machen auf diese noch anstehenden Aufgaben und damit helfen, »Not zu wenden«.

  5. Häufig passiert um synchronistische Phänomene herum eine Verzögerung. Diese sorgt erst dafür, dass der »richtige Augenblick« abgepasst wird, damit eine Gleichzeitigkeit überhaupt zustande kommt. Erst durch die Verzögerung »passt« dann alles zusammen!

  6. Häufig gibt es einen »Boten«, einen Vermittler in sinnvollen Zufällen. Dies kann eine Person sein, aber auch ein technisches Medium, wie Telefon, Email, Brief, Fax.

  7. Häufig gibt es – selbst in eher negativ gefärbten synchronistischen Erlebnissen – einen Grund zum Lachen. Die »Ironie des Schicksals« zwingt uns oft zu unserem Glück. Man kann durchaus das Gefühl haben, dass da ein raffinierter Drehbuchschreiber mit einem Gespür für besondere Gags am Werke ist.

  8. Synchronistische Ereignisse können komplexe Muster bilden. Mitunter sind mehrere Themen, mehrere zeitliche Querbezüge, mehrere Orte, mehrere Personen in verschiedenen Verschränkungen miteinander verbunden. Das macht es gelegentlich schwierig, die vielen Aspekte zu ordnen, und noch schwieriger, sie anderen mitzuteilen.

  9. »Synchronizität der Synchronizität«. Bei der Beschäftigung mit dem Thema Synchronizität kann es gehäuft zu synchronistischen Erlebnissen kommen.

»Ich stellte überhaupt fest, dass die Fälle sich mehren, sobald man sich mit dem ganzen Gedankenkreis beschäftigt; genauso, wie man, wenn man Traumdeutungsschriften liest, mehr träumt und sich der Träume besser erinnert als vorher.« (Wilhelm von Scholz)5


  1. C.G.Jung Gesammelte Werke Bd. 8, S.457-553 []
  2. F.David Peat: “Synchronizität – Die verborgene Ordnung. Das sinnvolle Zusammentreffen kausal nicht verbundener Geschehnisse – die moderne Wissenschaft auf der Suche nach dem zeitlosen Ordnungsprinzip jenseits von Zufall und Notwendigkeit”, 1992 (amer. Original: Synchronicity, 1987) []
  3. Ein solches merkwürdiges spukhaftes Phänomen, daß ein Teller auf dem Tisch ohne äußere menschliche Einwirkung zerbricht, schildert Robert H. Hopcke: “Zufälle gibt es nicht. Syn­chro­ni­zität – Die verborgene Ordnung unseres Lebens”, 1997, S.280f. []
  4. Elisabeth Mardorf: “Das kann doch kein Zufall sein! Verblüffende Ereignisse und geheimnisvolle Fügungen in unserem Leben”, 1997, S.32ff. Eine Neuauflage erschien 2009 im Schirner Verlag ISBN: 978-3-89767-630-5 []
  5. Wilhelm von Scholz: „Der Zufall und das Schicksal“, Paul List Verlag, 1959, S.62 []
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